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Verzeichnis sämtlicher Beilagen (IMustrationstafeln, Karten, Pläne)
zu Meyers Konversations- Lexikon, vierte Auflage, Band I- XVIII.
Bemerkung. Jede Beilage der Tafeln stimmen mit Vgl. das ausführliche @
Kunstgeschichte. Baukunst (12 Taf.) |
1. Indische etc. 2. Orientalische 3. Ägyptische | 4 Griechische 5. Etruskische und 9 römische
7. Altchristliche u.
byzantinische
8, Maurische
9. Romanische
10. Gotische
1
12. Kölner Dom (2 Taf) Suulenordnungen
|Renaissance
Berliner Bauten Wiener Bauten Wohnhaus (2 Tafeln) | Bauernhaus
Burgen Krankenhaus Theaterbau „Bahnhöfe (Bd. 18) „Markthalle (Bd. 18) Brücken (3 Tafeln) Grundbau
Bildhauerkunst (10 Tafeln)
1. Orientalische 2) Griechische
4. Römische 5. Mittelalter
6. Neuere Zeit
% Moderne Kunst
b . 10. (XIX. Jahrh.)
Kunst industrie. Bronzekunstindustrie Gemmen und Kameen Glaskunstindustrie Glasmalerei Goldschmiedekunst Keramik Möbel(Kunsttischler.) Münzen I. u. II. Ornamente (4 Tafeln) Rüstungen u. Waffen Schmiedekunst Schmucksachen Terrakotten Vasen Weberei
Faksimile nach Gu- tenbergs Bibel (Art. ‚Buchdruckerkunst‘)
Kostüme (3 Tafeln)
Wappenkunst
Wappen der Staaten
Deutsches Wappen
Österreich. Wappen
Kulturgeschichte. Steinzeit | Metallzeit (2 Tafeln) Pfahlbauten
Raubvogel Adler
Völkerkunde.
Afrikanische Völker Amerikanische Völker
| Asiatische Völker
Ozeanische Völker Ethnogr. Karte (Art. ‚Menschenrassen‘)
\ Sprachenkarte
Anatomie. Embryo Skelett (2 Tafeln) Bänder Muskeln Blutgefäße Nerven (2 Tafeln) Eingeweide (2 Tafeln) Auge Gehirn Ohr Mund, Nase etc.
Bakterien
| Augenkrankheiten Halskrankheiten
Hautkrankheiten
Zoologie.
Säugetiere. “Tjergeographische Karten, 8 Bl. (Bd. 17 u. 18) Affen (3 Tafeln) Halbaffen Handflügler
den Stichwörtern der
esamtverzeiehnis der Beilagen am . sind in den Jahres-S
Raubtiere (3 Tafeln) Pantherkatzen
ere Katzen
Hunderassen
— Jagdhunde Insektenfresser Beuteltiere
Nagetiere (2 Tafeln) Zahnlücker Kloakentiere
Kamele
Hirsche
Antilopen
Nashorn
Robben
Wale
Vögel.
Vögel (Körperteile) Eier eur. Vögel (2 Taf.) Papageien (2 Tafeln) Sperlingsvögel (2Taf.) Stubenvögel | Paradiesvögel
Geier Eulen Salanganen Kolibris
Klettervögel Hühnervügel
ist dem zugehörigen Artikel beigeheftet und bei betreffenden Artikel überein,
Schluß des XVII. Bandes. upplementen enthalten.
wenn nichts Die mit
diesem aufzusuchen. — Die Titel
andres bemerkt ist. * versehenen Beilagen
Straußvögel Wat vögel (2 Tafeln) Enten Möwen Schwimmvögel(3Taf.) Reptilien ete. Schildkröten Krokodile Eidechsen Chamäleon Schlangen (2 Tafeln) Riesenschlange Frösche Schwanzlurche
Fische. Fische (2 Tafeln) Großflosser Schuppenflosser
Insekten etc. Waldverderber (2Taf.) Käfer Hautflügler Schmetterlinge(2Taf.) Seidenspinner Zweiflügler Netzflügler Geradflügler Wasserjungfern Halbflügler Cikaden Falschnetzflügler Spinnentiere Krebstiere Einsiedlerkrebse Würmer Mimikry
Niedere Tiere. Tintenschnecken Schnecken Mollusken Echinodermen Holothurien Medusen (Quallen) Aktinien Korallen Protozoen Schwimme
Botanik. Pflanzenkrankheiten Schutzeinrichtungen
(Bd. 17) Schmarotzerpflanzen
(Bd. 18) Pflanzengeogr. Karte
Nutzpflanzen etc.
Algen Arzneipflanzen (3 Taf.) | Blattpflanzen (2 Taf.) |
\ Farbepflanzen
Genußmittelpflanzen Gerbstoflpflanzen Gewürzpflanzen Giftpflanzen (2 Taf.) Industriepflanzen Insektenfress. Pflanzen
Kakteen etc. Nahrungspflanzen(3T.) Ölpflanzen Orchideen Palmen (2 Tafeln) Pilze (2 Tafeln) Spinnfaserpflanzen Wasserpflanzen Zimmerpflanzen (2 T.)
Waldbuume. Ahorn Birke Buche Eiche Erle Esche Fichte Haselstrauch Hornbaum Kiefer Lärche Linde Pappel Rüster Tanne Weide
Mineralogie.
Mineralien | Gesteine(Dünnschliffe) Diamanten Edelsteine
Geologie. Geologische Karte von | Deutschland | Nutzbare Mineralien (Bd. 18) Harz (desgl.) Thüringen (desgl.) Geolog. Formationen Gangbildungen Geiser Vulkane | Eiszeit, Karte (Bd. 17) Erdbeben, Karte der Verbreitung (Bd. 17) Seebildungen (Bd. 17) Strandbildg. (Bd. 17) Thalbildungen (Bd.17) Paläontologie. Silurische Formation Devonische - Steinkohlenform.(3T.) Dyasformation Triasformation Juraformation (2 Taf.) Kreideformation + Tertiäirformation Diluvium Physik, Meteorol. Luftpumpen
|
Mikroskope
Polarisationsapparate
Spektralanalyse
„Wolkenformen (Bd. | 18)
Klimakarte von Deutschland (Bd. 18)
Astronomie. Astron. Instrumente Fixsterne (Karte) Kometen Mondkarte Mondlandschaften Nebelflecke 1
Planetensystem
Polarlichter
Sonne
Sternwarte Technologie.
Bierbrauerei ;ohrmaschinen
| Brotfabrikation
Dampfkessel (2 Taf.) Dampfmaschinen (2T ) Destillationsapparate
Gaskraftmaschinen
Glasfabrikation(2Taf ) Hammer (Dampf-) Hobelmaschinen Lampen
Leuchtgas Lokomobilen Lokomotive
Mauersteine
Mühlen du
Münzwesen Nähmaschinen Papierfabrikation Pumpen Rauchverbrennung Sägemaschinen Schnellpresse Sodabereitung Spinnmaschinen Spiritusfabrikation Thonwarenfabrikation Torfbereitung Velocipede Walzwerk Wasserräder Webstühle Zimmeröfen Zuckergewinnung (2 Tafeln)
Elektrotechnik.
Elektromagnetisch e Kraft maschinen Magnetelektrische dgl. (2 Tafeln) Telegraph (2 Tafeln) Uhren , elektrische
Hüttenkunde. Bleigewinnung
| Eisen (3 Tafeln)
Gebläse
\ Goldgewinnung
Kupfergewinnung Öfen Salzgewinnung Schwefelgewinnung Silbergewinnung Zinkgewinnung
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ununummmn nm mmundumumunummumnummen uu m Hüahdhdddddddpd een utrnenmmmununmnnummumununu nun utiuu nan unn uuunurenuumttinunum ini
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Hühner
x
Nahrungsmittel (dgl.)
Flaggen, deutsche
Autographen (2 Taf.)
Atlas der Erdbeschreibung.
Die Karten sind selbstverständlich bei den darauf dargestellten Hauptländern, deren Name meist voransteht, zu suchen, wenn nichts andres bemerkt ist.
Vgl. die graphische Übersicht sämtlicher Karten (3 Blätter) am Schluß des 17. Bandes.
Allgem. Erdkunde. Erdkarte Meeresströmungen Atlantischer Ozean Ethnogr. Karte (Art. ‚Menschenrassen‘) Sorachenkarte Bevölkerungsstatist.
Karten (4)
Dampfschiffahrts- linien der Welt Tiergeograph Karten
(8 Bl., Bd. 17 u. 18) Pflanzengeogr. Karte Lufttemperatur Friminalstatistische Karten (Bd. 18)
Europa. Fluß- u. Gebirgskarte Staatenkarte Völker- u. Sprachenk. Alpen (Höhenschicht.) Mittelmeerländer Nordpolarländer Kolonien. Kolonialbesitz europ Staaten (Übersicht) Deutsche Kolonien (Übersicht) — Spezialkarten(Bd. 17) Deutschland. Fluß- u. Gebirgskarte Geologische Karte
Schleswig - Holstein
Hannover
Westfalen
Rheinprovinz
Hessen - Nassau
Übrige deutsche
Staaten.
Bayern
Berchtesgadener Land
Sachsen, Königreich
Württemberg
Baden
Hessen
Mecklenburg
Oldenburg
Braunschweig, Lippe etc.
Sächs. Herzegtümer
Elsaß - Lothringen
Österreich - Ungarn.
Übersichtskarte
Ethnograph. Karte
Österreich ob derEnns — unter der Enns
Salzburg
Salzkammergut
Tirol, Vorarlberg
Steiermark
Kärnten
Krain, Istrien
Böhmen, Mähren, Schlesien
Ungarn, Galizien
Übrige europäische
Türkisches Reich (Balkanhalbinsel) Bosnien, Montenegro Rumänien Serbien ete.
Griechenland Rußland Polen u. Westrußland Livland, Esthland, *
Kurland
Asien.
Fluß- u. Gebirgskarte Staatenkarte Palästina Persien Afghanistan
Zentralasien
Ostindien Hinterindien ete. China und Japan Tongking (Kleinasien s. Türk, Reich) Afrika. Fluß- u. Gebirgskarte Staatenkarte Forschungsreisen Algerien, Marokko etc. Guinea, Westsudän Agypten, Nubien, Abessinien Congogebiet (Inner-A.) Kapland etc. (Südafr.) Sansibar u. Deutsch- Ostufrika
Brasilien
Peru, Ecuador,Kolum- bien, Venezuela
Argentin. Republik, Bolivia, Chile etc,
Australien.
Austral, Kontinent
Ozeanien
Neuguinea ete. |
Neuseeland J 1Bl.
Samoa Geschichtskarten.
Deutschland um 1000 — im 14. Jahrh.
— um 1648
— um 1813
— 1816 bis 1866
Österreich
Preußen
Reichstagswahlen (Ed. 17)
Alt- Griechenland
Olympia, Plan
Alexanders d. Gr. Reich
Römisches Reich
Germanien u. Gallien
Italien im Alterlum — vom 10,-19. Jahrh.
Polen
Rußland (m.Eroberun- gen in Zentralasien)
Europäische Türkei
| Danzig Dresden, Stadtplan — Umgebung Düsseldorf Elberfeld und Barmen Erfurt Florenz Frankfurt a. M. Genua Graz Halle a. d. Saale Hamburg-Altona, Stadtplan
— Umgebung Hannover Jerusalem Kairo und Umgebung Kassel Köln Königsberg Konstantinopel Kopenlragen Leipzig London, Stadtplan — Umgebung Lyon Magdeburg Mailand Mainz mit Umgeb ) Marseille Metz, Stadtplan
— Schlachtfelder München
Neapel, Stadtplan — Umgebung New York Nürnberg Paris, Stadtplan — Umgeb. u. Befest. Prag Rom Sankt Petersburg — Umgebung
|
Stettin | Stockholm(m.Umgeb ) | Straßburg | Stuttgart | Venedig | Wien, Stadtplan — Umgebuug | Wiesbaden
F nn Mineralien Staaten. Amerika. Stadtpläne etc. ' — ( ad. 15) Schweiz (1-4 beiArt.,Amerika‘.) | Aachen- Burtscheid j Klimakarte (Bd. 18) | Dänemark 1. Nordamerika, Fluß- Alexandria - t Politische Übersicht Schweden und For- und Gebirgsk. | Ather, Stadtplan Bevölkerungsdichtigk. Niederlande [wegen 2. — Staatenkarte — Umgebung E Konfessionen Belgien u. Luxemburg | 3. Südamerika, Fluß- | Augsburg 5 en Großbritannien und Gebirgsk. | Barmen (bei Elberfeld) Krankheiten (Bd. 18) Frankreich 4. — Staatenkarte | Berlin, Stadtplan = Preußen. Spanien uud Portugal | Vereinigte Staaten, — Umgebung - Übersichtskarte Italien, Übersicht Übersicht | Braunschweig Ost- und Westpreußen | — nördliche Hälfte — östliche Hälfte | Bremen Brandenburg — südliche Hälfte | — westliche Hälfte | Breslau Pommern Vesuy Mexiko x Brüssel Posen Sizilien Westindien u. Zentral- Budapest Sc⸗chlesien Türkisches Reich, Ge- amerika(m.Panama- Chemnitz = Sachsen samtübersicht u. Nicaragua-Kanal) | Christiania 1 . h 8 x ä ee eee ener en d AFLANI GERA HAN
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Neunkler Band.
Irideen — Königsgrün.
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reieß Papier.
Digitized by He Internet Archive in 2009 with funding from . Ontario Council of University Libraries
http://www.archive.org/details/meyerskonversati0f9meye
Meyers
Ronverſations-Lerikon.
Eine
Eneyklopädie des allgemeinen Wiſſens.
Vierte, günzlich umgearbeitete Auflage.
Mit 550 Karten, Plänen und Bildertafeln ſowie 3600 Abbildungen im Text. (Beendet 1890.)
Neunter Band.
Irideen — Königsgrün.
Neuer Abdruck.
—— — ⏑— — ———
Leipzig und Wien. Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts.
1890.
Ur Sad N 98
Alle Rechte vom Verleger vorbehalten
g.
Das im laufenden Alphabet nicht Verzeichnete iſt im Regiſter des Schlußbandes aufzuſuchen.
Irideen (Schwertliliengewächſe), monoko— tyle Familie aus der Ordnung der Liliifloren, Stau— den mit Zwiebeln oder Rhizomen, linealen, ſchwert— förmigen, oft reitenden Blättern und regelmäßigen oder zygomorphen, dreizähligen Blüten, die aus zwei blumenblattartigen Perigonkreiſen, einem einfachen, vor den äußern Perigonblättern stehenden, dreigliede— rigen Staubblattkreis und drei verwachſenen Karpi— den beſtehen. Oft ſind die Narben blumenblattartig ausgebildet. Die Frucht öffnet ſich fachſpaltig mit drei Klappen u. enthält zahlreiche Samen mit horni— gem oder fleiſchigem Endoſperm. Vgl. Klatt, Revi- sio Ir idearum (» Linnaea« 1863-66); J. Baker, Sy- stema Iridacearum (Journal of Linnean Soeciety«, Bd. 16). Man zählt etwa 65 Gattungen mit gegen 700 Arten, welche vornehmlich in den wärmern Stri— chen der gemäßigten Zonen einheimiſch, in den eigent— lichen Tropen minder reichlich vertreten ſind; in der größten Anzahl von Arten und im wunderbarſten Formenreichtum finden ſie ſich am Kap, wo beſon— ders Gladiolus T. und eine Anzahl eigentümlicher Gattungen vertreten ſind. Die Wurzelſtöcke und Knollen enthalten viel Stärkemehl nebſt Schleim. Die Narben von Crocus liefern den Safran. Viele Arten, beſonders aus den Gattungen Iris L., Gla— diolus 7., Crocus T., find beliebte Zierpflanzen. Einige Arten von Iris L. und Iridium Heer kommen foſſil in Tertiärſchichten vor.
Iridektomie (griech., Ausſchneiden der Iris [Re— genbogenhaut]«), eine Augenoperation, beſteht darin, daß man durch einen 4—6 mm langen Einſtich am Rande der Hornhaut mit einer Pinzette in die vor— dere Kammer eingeht, die Iris am Pupillarrand oder nächſt ihrer Verwachſung mit der Hornhaut faßt, hervorzieht und außerhalb der Hornhaut mit einer Schere abſchneidet. Man macht die J. bei Erkran⸗ kungen der Iris, Hornhauttrübungen und als Vor— operation bei manchen Staroperationen, ganz beſon— ders aber bei Glaukom (ſ. d.) oder dem grünen Star. Die J. vernichtet die Pupillenbewegungen, ſo daß ein ſolche Pupille dem Lichtreiz nicht mehr folgt und der Operierte allen Gefahren desſelben ausgeſetzt iſt, falls er nicht verſteht, mit dem Augenlid die Funk— tion jenes Muskels zu erſetzen. Um dem vorzubeu— gen, hat man eine Operation vorgeſchlagen, durch welche die natürliche Pupille nur verlegt wird, näm—
Meyers Konv.⸗Lexikon, 4. Aufl., IX. Bd.
lich die Iridodeſis. Dieſe beſteht darin, daß man einen 2 mm weiten Schnitt an dem Hornhautrand macht und, wenn das Kammerwaſſer abfließt und die Iris infolgedeſſen vorfällt, dieſen Teil der Iris mit der Pinzette faßt und ſo weit herauszieht, daß die Pupille an jene Stelle zu liegen kommt, wo man ſie haben will. Das vorgezogene Stück Iris wird mit einem Faden abgeſchnürt. Vgl. Tafel »Augen: krankheiten, Fig. 15.
Irideremie (griech.), ſ. Aniridie.
Iridium Ir, eins der ſogen. Platinmetalle, findet ſich als Osmiumiridium, bisweilen auch als Jridium— platin in Begleitung des Platins und wird aus den Platinrückſtänden gewonnen. Ammoniumiridium— chlorid (Iridſalmiak) hinterläßt beim Glühen J. als ſchwammige Maſſe, welche, gepreßt und heſtig ge— glüht, politurfähiges Metall liefert. J. iſt rein weiß, ſtahlglänzend, nur bei Weißglut hämmerbar, läßt ſich feilen, Atomgewicht 192,7, ſpez. Gew. 22,4, iſt ſtrengflüſſiger als Platin, bleibt an der Luft bei jeder Temperatur unverändert und wird nach ſtarkem Glühen von keiner Säure, auch nicht von Königs— waſſer, angegriffen. Aus alkoholiſcher Löſung von ſchwefelſaurem Iridiumoxyd ſcheidet ſich am Sonnen— licht fein verteiltes metalliſches J. als ſchwarzes Pulver (Iridiumſchwarz) ab, welches noch ener— giſcher oxydierend wirkt als Platin, in Königswaſſer ſich löſt und beim Erhitzen an der Luft ſich in Jri— diumſesquioxyd IO; verwandelt. Dies iſt blau— ſchwarz und dient als ſchwarze und, mit Zinforyd gemiſcht, als graue Farbe in der Porzellanmalerei. Eine Löſung von fein verteiltem J. in Königswaſſer enthält Jridiumchlorid IrCl, welches eine dunkel— rot durchſcheinende Maſſe bildet und mit Chlorammo— nium dunkel kirſchroten, ſchwer löslichen Jridiumſal— miak (NH) Ir Cl bildet, der beim Glühen ſchwamm— förmiges J. hinterläßt. Man benutzt J. hauptſächlich in Legierungen mit Platin. Eine ſolche Legierung aus 1 Teil J. und 9 Teilen Platin iſt ſehr hart, elaſtiſch wie Stahl, ſchwerer ſchmelzbar als Platin, völlig unveränderlich an der Luft und dient zu Nor— malmaßſtäben. Andre Platiniridiumlegierungen ge: braucht man zu Gefäßen, die der Einwirkung des Königswaſſers widerſtehen, wenn ſie nach der erſten Einwirkung desſelben ausgehämmert werden. Auch dienen J. und Osmiumiridium zu Goldfederſpitzen.
1
2
J. wurde 1804 von Tennant in den Platinrückſtän— den entdeckt.
Iridiumgold, ſ. Gold, S. 473.
Iridodeſis, j. Iridektomie.
IJringsweg, in der deutſchen Mythologie die Milch— ſtraße, nach Iring, einem mythiſchen Helden der Thüringer, benannt, welchen J. Grimm mit dem auch auf Erden wandelnden Heimdall (ſ. d.) identifiziert.
Iris, in der griech. Mythologie Perſonifikation des Regenbogens und als ſolche die den Frieden in der Natur wiederherſtellende und den Verkehr ver— mittelnde Botin des Himmels zur Erde, nach Heſiod Tochter des Thaumas und der Okeanide Elektra. Sie erſcheint als jungfräuliche, ſchnellfüßige, geflügelte Götterbotin, eilt als ſolche raſch wie der Sturmwind von einem Ende der Welt bis zum andern und dringt ſelbſt bis in die Tiefe des Meers. Vorzüglich wird ſie vom Zeus und von der Hera entſandt (bei den ſpätern Dichtern nur von letzterer) und ſteht dem Götterboten Hermes beſonders nahe, deſſen Stab ſie auch führt. Merkwürdigerweiſe wird ſie in der Ilias⸗ oft, in der Odyſſee nie erwähnt (hier nur Hermes). Im Bild (auf Vaſen oder Reliefs) iſt ſie der Nike ähnlich und oft ſchwervon ihr zu unterſcheiden. Schlan— genſtab und Kanne, womit ſie die Libation einſchenkt, ſind ihre Attribute.
Iris, Regenbogenhaut des Auges (ſ. d., S. 74). Fehlen der J., ſ. Aniridie.
Iris L., Gattung aus der Familie der Jridaceen, Staudengewächſe mit unterirdiſchem, kriechendem, verdicktem Wurzelſtock, einfachem oder veräſteltem, zuweilen ſehr verkürztem Stengel, ſchwert-oderlilien— förmigen, zweizeiligen Blättern, großen, endſtändigen, einzelnen oder in Trauben vereinigten Blüten und großer, lederartiger, vielſamiger Kapſel. Etwa 80 vorzüglich der nördlichen gemäßigten Zone angehö— rende Arten. Von drei Arten, I. germanica L., mit dunkelblauen Blüten, in Süd- und Mitteleuropa, Nordindien und Marokko, I. pallida Lam,, mit hell— blauen Blüten, in Südeuropa und dem Orient, und von J. florentina L., mit weißen Blüten, in der Türkei und Vorderaſien, wird die Wurzel als Veil— chen wurzel in den Handel gebracht. Man kultiviert beſonders I. germanica und pallida in der Umgegend von Florenz, hebt die Wurzeln im Auguſt heraus, ſchält und putzt ſie und trocknet ſie an der Sonne. Der friſche Wurzelſtock iſt fleiſchig, riecht widerlich und ſchmeckt ſcharf bitter. Nach dem Trocknen iſt er gelblichweiß, riecht veilchenartig und ſchmeckt mild. Er enthält ſehrwenig den Veilchengeruchbedingenden Iriskampfer, wenig Harz und Gerbſäure und viel Gummi. Veilchenwurzel dient, wie ſchon bei den alten Griechen und Römern, hauptſächlich in der Parfümerie und wird zahnenden Kindern gegeben, damit ſie darauf beißen; mit dem Pulver beſtreut man Pillen, auch dreht man aus der Wurzel Kügel— chen zu Fontanellen. Außerdem iſt ſie ein Beſtand— teil des Bruſtthees und wird auch zu Zahnpulver benutzt. I. germanica (Himmelslilie, Gilgen) wird neben mehreren andern Arten in vielen Varie— täten als Zierpflanze kultiviert. I. pseudacorus L. (Waſſerſchwertel, Teichlilie, Gilgenwurzel), mit großen, gelben Blüten, an Teichen und Bächen in ganz Europa, hat einen innen rötlichen, kurz zu— ſammengeſchobenen Wurzelſtock mit ſcharfem Saft, welcher früher als falſcher Kalmus, Gilgenwur— gel benutzt wurde.
Iriſches Meer (Irländiſches Meer, Jriſche See), die ziemlich bedeutende Meeresfläche, welche ſich zwiſchen Irland und England in einer faſt oval: |
Iridiumgold — Iritis.
runden Form ausbreitet und im S. durch den St. Georgskanal, im N. durch den St. Patricks- und den Nordkanal mit dem Atlantiſchen Ozean in Verbin— dung ſteht. Das Iriſche Meer erhält faſt gar feiner bemerkenswerten Waſſerzufluß durch Landſtröme und erſcheint als ein ruhig umgrenztes Waſſerbecken, das aber in ſeinen Kanälen um ſo heftiger ſtrömt. Seine Tiefe beträgt bis zu 152 m, im Nordkanal kommen
jedoch Tiefen bis zu 263 m vor. Die beiden größten
Inſeln im Iriſchen Meer find Man und Angleſey. Iriſche Sprache, ſ. Keltiſche Sprachen. Iriſches Syſtem, ſ. Gefängnisweſen, S. 1000, Iriſch⸗römiſche Bäder, ſ. Bad, S. 224. Irisdruck, ſ. Buntdruck. 5 Irisglas (iriſierendes Glas), durchſichtiges
farbloſes oder gefärbtes, in prächtigen Regenbogen—
farben ſchimmerndes Glas, welches in der Weiſe er— halten werden kann, daß man die noch heißen Gegen— ſtände, wie ſie vom Glasofen kommen, in einen Raum einführt, welcher mit Dämpfen gefüllt iſt, die ſich aus einer erhitzten Miſchung von ſalpeterſaurem
Baryt, ſalpeterſaurem Strontian und Zinnchlorür
entwickeln. Man benutzt hierzu ein eiſernes Gefäß,
deſſen Boden durch Kohlenfeuer erhitzt wird, und deſſen aufklappbarer Deckel eine Offnung für den
Hals der Glasbläſerpfeife beſitzt. Die Einwirkung
darf nur einige Sekunden dauern. Worauf dieſelbe
beruht, iſt noch nicht ſicher ermittelt; doch kann man
Glas auch durch Joddämpfe und gewiſſe Sorten durch
Erhitzen mit etwa 15 Proz. Salzſäure enthaltendem
Waſſer unter einem Druck von 2—5 Atmoſphären
iriſierend machen. Durch Abänderung derChemikalien
und der Temperatur ſoll man die Farben, in welchen das Glas iriſiert, beliebig ändern können. Am beſten eignen ſich Kriſtallglas, Hyalithglas und die halbſat— ten Farbengläſer zur Darſtellung von J. Dasſelbe wurde zuerſt 1872 von Zahn in Ungarn dargeſtellt.
Auf Thonwaren kann man iriſierende Glaſur durch
Auftragen von Kalithonerdeglaſur unter Zuſatz von
Aluminiumplatinchlorid darſteclen.
Irisu apricots (engl., jr. eiriſch äpprikots, »irlän⸗ diſche Aprikoſen⸗), Spottname für die Kartoffeln. Irish Stew (engl., ſpr eir ſch ſtiuh, »irländiſches
Schmorfleiſch«), ein urſprünglich iriſches National:
gericht, jetzt auch in Deutſchland weitverbreitet, be—
ſtehend aus mit Weißkraut oder Welſchkohl, Kartoffeln,
Zwiebeln und Gewürzen gedünſtetem Hammelfleiſch. Iriſieren, in regenbogenartigen Farben ſpielen.
Das J. wird meiſt hervorgebracht durch die Wirkung
äußerſt dünner Schichten oder Blättchen und kann da—
her durch Ablagerung zarter Überzüge auf Metalle ꝛc. künſtlich erzeugt werden. Dies geſchieht namentlich
bei der »galvaniſchen Färbung der Metalle (s. d.). Iriſieren der Wolken, eine atmoſphäriſche Erſchei—
nung, welche auftritt, wenn weiße Federſchichtwolken,
deren Ränder mit dem Horizont parallel ſind, in der
Nähe der Sonne ſtehen. Beim J. zeigt ſich eine leb—
hafte prismatiſche Farbenreihe in Geſtalt von Strei—
fen, welche mit dem Rande der Wolke parallel gehen und zuweilen 10“ und mehr von der Sonne abſtehen.
Sie ſind unregelmäßig in der Wolke zerſtreut und
werden wahrſcheinlich durch Bläschen von ungleichen
Dimenſionen hervorgerufen.
Irisknöpfe, ſ. Beugung des Lichts.
Irismuſchel, Name für das Meerohr (ſ. d.) und den Nautilus (f. d.).
Irispapier, ſ. Buntpapier, S. 641.
Iritis, Entzündung der Iris oder Regenbogen— haut des Auges, entſteht ſehr oft ohne alle nachweis— bare Urſache als idiopathiſche oder nach Erkäl—
Irkaipij — Irland.
tungen als rheumatiſche J., vielleicht am häufigſten ift ſie eine Erſcheinung der Syphilis (I. gummosa). In ihren Anfängen wird ſie zuweilen nur durch ein leichtes Ermüden des Auges bemerkt, dann geſellt ſich eine ſehr zierliche, in Adern hervortretende Rö— tung um die Hornhaut hinzu, und gleichzeitig wird eine Entfärbung der Iris wahrgenommen. Die Ge: fahr beruht in der großen Neigung der entzündeten Regenbogenhaut zu Verwachſungen mit der Linſen— kapſel (Synechia posterior) und der Hornhaut (Sy- nechia anterior). Die Heilung erfolgt bei rechtzei⸗ tiger ärztlicher Behandlung We Das ſou⸗ veräne Mittel iſt das Atropin, mittels deſſen der möglichſt hohe Grad der Pupillenerweiterung (My— driasis) herbeigeführt wird, welcher ſchon beginnende Verlötungen trennt und neue Adhäſionen verhindert. Iſt der rechte Zeitpunkt vorbei, ſo iſt die ſpätere Be⸗ handlung nur von geringem Erfolg, oft folgt totale Erblindung. S. Tafel » Augenkrankheiten, Fig. 5.
Irkaipij (Cooks Nordkap), Landſpitze der Tſchuktſchenhalbinſel unter 180° L. v. Gr., 689 50° 13“ nördl. Br.
Irkutsk, ruſſ. Gouvernement in Oſtſibirien, an der Weſt⸗ und Nordſeite des Baikalſees, grenzt ſüd— lich an China (durch das Sajaniſche Gebirge davon getrennt), weſtlich an das Gouvernement Jeniſſeisk, nördlich an das Gebiet Jakutsk, öſtlich (durch den Bai— kalſee davon getrennt) an das ehedem zum Gouverne— ment J. gehörige Transbaikaliſche Gebiet und umfaßt 800,768 qkm (14,246 QM.) mit (1883) 398,873 Einw. Das Land iſt gebirgig, ſeine Hauptflüſſe ſind die An⸗ gara, welche in den Jeniſſei (ſ. d.) ſich ergießt, und die Lena (ſ. d.). Unter den fünf Kreiſen (J., Wercho— lensk, Balagansk, Niſhne Udinsk und Kirensk) iſt Balagansk der am dichteſten bevölkerte und frucht⸗ barſte Oſtſibiriens. Roggen, Gerſte, Hafer und Ge: müſe gedeihen gut. Goldwäſchen finden ſich nament⸗ lich im Niſhne Udinskiſchen Bezirk, im Flußſyſtem der obern Tunguska, an der Birjuſſa und deren Ne: benflüſſen, gaben aber nur wenig, zuſammen mit dem Kanskiſchen Bezirk im Gouvernement Jeniſſei im J. 1880: 377 kg. Von 1876 bis 1880 lieferten beide Bezirke zuſammen 2607 kg. Der Irkutskiſche Bezirk lieferte 1879 nur wenige Pfund Gold. Außer⸗ dem werden noch Eiſen und Salz gewonnen, von letzterm 1879: 3,700,000 kg. Die einſt ſehr ergiebige Jagd gewährt dem Nomadenjäger kaum mehr den Unterhalt. Den Hauptbeſtandteil der Bevölkerung bilden Ruſſen, Buräten und Tunguſen; Haupterwerb
iſt Ackerbau, Viehzucht und Verfrachtung der Waren aus und nach den Hinterländern (China). Von den Ruſſen ſind ein Dritteil verbannte Zwangsarbeiter. Das Gouvernement wird von der wichtigen Poſt— ſtraße von Krasnojarsk nach der Hauptſtadt J., die ſich jenſeits zum Amur fortſetzt, durchzogen. Es be⸗ ſaß im J. 1877: 109 Fabriken und induſtrielle An⸗ ſtalten mit 3121 Arbeitern und einem Produktions⸗ wert von 3,290,717 Rubel. Spiritus- und Brannt⸗ weinbrennereien nehmen den erſten Platz ein, dann folgen Etabliſſements für Eiſenverarbeitung, Salz⸗ ſiedereien, Tuch, Porzellan- und Fayeneefabriken. Die Zahl aller Lehranſtalten war 1883: 202 mit 5151 Schülern, nämlich 5 Fachſchulen mit 523 Schülern (ein Prieſterſeminar, ein Lehrerſeminar, eine Feldſcher⸗ ſchule, ein Militärgymnaſium, eine techniſche Schule), 8 mittlere Lehranſtalten und 189 Elementarſchulen.
Die gleichnamige Hauptſtadt liegt an der Mün⸗ dung des breiten und reißenden Irkut in die Angara, 370 m ü. M., und hat ſich von einer ärmlichen Wei⸗ lerhütte und Poſtſtation (1652) zur bedeutendſten
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Stadt Sibiriens aufgeſchwungen, die, nachdem ſie 1879 durch eine mehrere Tage dauernde Feuersbrunſt beinahe vollkommen zerſtört worden war, doch (1881) 36,117 Einw. zählt. Sie iſt die Reſidenz des General: gouverneurs von Oſtſibirien und Sitz eines Biſchofs, hat breite Straßen mit reichlich verſehenen Läden, eine ſchöne Kathedrale, 9 andre Kirchen, ein Gou— vernements- und viele öffentliche Gebäude, ferner ein Gymnaſium, Theater, eine Bibliothek, ein Mi⸗ neralienfabinett, ein Arbeits- und Findelhaus, Ge: fängnis und zeigt bei reger Gewerbs- und Handels: thätigkeit mehr Wohlleben und weſteuropäiſchen Luxus als irgend ein andrer Ort in Sibirien. J. iſt Hauptſtapelplatz für den Handel zwiſchen dem Oſten Aſiens und Petersburg. Mit Beginn der Schneebahn treffen von der chineſiſchen Grenze Tau: ſende von Schlitten mit Thee, Rhabarber 2c. in lan: gen Reihen hintereinander ein. Die verminderte Theeeinfuhr auf dem Landweg über Kiachta (ſ. d.) hat dem Handel in den letzten Jahrzehnten ſtarken Abbruch gethan; aber Provinz wie Stadt J. werden erhöhte Bedeutung erhalten, ſobald die Beſiedelung der ruſſi⸗ ſchen Mandſchurei weitere Fortſchritte machen wird.
Irland (engl. Ireland, bei den keltiſchen Urbewoh⸗ nern Eirin oder Erin, d. h. Weſtland, woraus die bei den Alten üblichen Namen Jerne, Juverna und Hibernia entſtanden), ein mit Großbritannien vereinigtes Königreich, umfaßt die weſtliche der bei⸗ den großen britiſchen Inſeln und liegt zwiſchen 51° 25.— 550 23“ nördl. Br. und zwiſchen 5" 20°—10° 28‘ weſtl. L. v. Gr. (ſ. Karte Großbritannien).
überſicht des Inhalts:
Lage und Küſtenbildung S. 3 Fiſchereeedmd S. 7 Bodenbeſchaffenheit . 4 BergbaeNnnnn 7 G wäſſer, Klima . 4 Sndüſtrie 8 Areal und Bevölkerung, 5 Handel 8 Nationalitle 5 Nationaleinkommen. 8 Feligion e „Ha .Hr 5 Verwaltung, Rechtspflege ꝛc. 9 eee eee 6 Geographiſche Litteratur . 9
Se je al jan
Landwirtſchaft . . . 7 Geſchichte
Lage und Küſtenbildung.
Die Inſel J. wird von Schottland durch den Nord— kanal, von England durch das Iriſche Meer und den St. Georgskanal getrennt und iſt im übrigen vom Atlantiſchen Ozean umgeben. Die Geſtalt der Inſel iſt in ihrer Grundform als Rautenviereck zu denken. Der nördlichſte Punkt iſt Malin Head, der ſüdlichſte Mizen Head; die Weſtſpitze bildet Dunmore Head, den öſtlichſten Punkt die Küſte ſüdlich von Donagha— dee. Die längſte, in ſüdweſtlicher Richtung durch die Inſel gezogene Linie mißt 497 km; die durchſchnitt⸗ liche Breite der Inſel beträgt etwa 200 km, ihr Flä— cheninhalt 84,252 qkm (1602, QM.), wovon 638 qkm (11,6 QM.) auf 196 kleinere Inſeln kommen. Die Küſte hat eine Ausdehnung von 2254 km, und kein Punkt des Landes iſt über 80 km vom Meer entfernt. Was Reichtum an ſchönen, natürlichen Häfen betrifft, jo genießt J. im Vergleich zu Großbritannien ent⸗ ſchieden den Vorzug; ſchade nur, daß die Mehrzahl der beſten Häfen an der dem offenen Atlantiſchen Meer zugewandten Weſtküſte liegen, wo ſie dem Han⸗ del nur wenig nützen und eigentlich nur Fiſcherbooten eine Zufluchtsſtätte bieten. Ganz wie in Großbri- tannien, iſt auch in J. die Oſtküſte im allgemeinen flach und einförmig, die Weſtküſte dagegen ſteil und vielfach gegliedert. Der einzige gute Hafen an der Oſtküſte wird durch den Belfaſt Lough gebildet. An der Nordküſte verdient Lough Swilly Beachtung, an der Weſtküſte die durch die 463 m hohe Clareinſel geſchützte Clewbai und die durch die Araninſeln ge:
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ſchützte Galwaybai mit ihren Unterabteilungen. An der zerriſſenen, durch tiefe Fjorde gekennzeichneten Südweſtküſte ſind zu erwähnen: der Valentiahafen, der ſicherſte in ganz Kerry, die Dinglebai, der tief ins Land eindringende ſogen. Kenmare River und die Bantrybai. An der Südküſte liegt der ſichere und geräumige Hafen von Cork. Bodenbeſchaffenheit.
Der größte Teil der Inſel beſteht aus einer welligen Tiefebene, reich an Seen, Sümpfen und Torfmooren. Dieſe Tiefebene erſtreckt ſich von der Oſtküſte bei Dublin ununterbrochen bis zur Weſtküſte und dringt auch an andern Stellen bis an die Küſte vor, ſo daß 77 Proz. der geſamten Oberfläche der Inſel eine Meereshöhe von weniger als 150 m haben. Nehmen wir an, daß das Meer bis zu dieſer Höhe ſtiege, dann würde ſich J. in einen Archipel auflöſen, beſtehend aus zahlreichen Inſeln, deren höchſte, in Kerry, 890 m über den neuen Meeresſpiegel ſich erheben würde. Die Berge ſind meiſt nackt und ohne Gehölz, oft wild und felſig und faſt ſtets von maleriſchen Formen. Sie haben im allgemeinen die Normalſtreichlinie der Berge von Wales oder Schottland und bilden keine eigentlichen Ketten, ſondern einzelne Gruppen. Die wichtigſten dieſer Gruppen ſind in Nordirland: die Berge von Antrim, im nordöſtlichſten Teil der Inſel, welche im Troſtan 554 m hoch anſteigen und in ſteilen Baſaltmaſſen ins Meer abfallen (ſ. Giant's Cauſeway); die Mourne Mountains, im ©. der vorigen, in der Grafſchaft Down (mit dem 852 m hohen Slieve Donard), welche in den in ſüdweſtlicher Richtung ſtreichenden Hügelzügen, die gleich ihnen vorherrſchend aus ſiluriſchem Geſtein beſtehen, eine Fortſetzung finden; die Sperrin Mountains, auf der Grenze von Londonderry und Tyrone, von den Bergen Antrims durch das Thal des Bann, von jenen Donegals durch den Fluß Foyle getrennt (im Mount
Sawel 683 m hoch); die Berge von Donegal, im
nordweſtlichſten Winkel der Inſel, ein zerklüftetes
Gebirgsland mit tiefen Thälern und kleinen male⸗ riſchen Seen, mit dem Errigal (752 m) und Blueſtack
(676 m hoch); die Berge von Dowbally, in Leitrim und Cavan, von den vorigen durch den Fluß und
Nephinberge, an der Weſtküſte, in der Grafſchaft Mayo, und nördlich von der Clewbai (806 m); die Hochlande von Connemara (die Twelve Pins von
Binabola 730 m) und die von ihnen durch die tief
ins Land eindringende fjordartige Killerybai geſchie— denen Gebirge im S. der Clewbai (Muilrea 796 m, Croagh Patrick 765 m). Im S. ſteigen an der Oſt⸗
küſte, dicht bei Dublin, die Berge von Wicklow an,
berühmt durch landſchaftliche Schönheiten, im Lugna—
quilla 926 m hoch. Sie ſetzen ſich in ſüdweſtlicher Rich- tung in einem Höhenzug fort, in welchem die Berge
Leinſter und Blackſtairs zu 795 und 734 manſteigen. Ferner find hier zu nennen: die Comeragh- und Knockmealdowuberge (755und 795 m hoch), welche ſich von der Südküſte ins Innere erſtrecken und von den Flüſſen Suir und Blackwater begrenzt werden; die Berge von Kerry im äußerſten Südweſten, die Iriſche Schweiz, mit den Seen von Killarney und aus mehreren Gebirgszügen beſtehend, zwiſchen wel— chen die See tief hineindringt und Fjorde bildet. Sie erreichen ihren Höhepunkt im Carrantuohill in den Macgillicuddy Reeks, der 1074 m hoch anſteigt. Außer dieſen Küſtengebirgen erheben ſich im Innern des Landes mehrere Höhenzüge, unter welchen die Galty— mores (919 m), Silvermine- (Keeper 694 m) und
ihres Laufs: See Erne geſchieden (im Cuilcagh 667 m hoch); die >
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Irland (Bodenbeſchaffenheit, Gewäſſer, Klima).
In geognoſtiſcher Hinſicht beſteht die große iri⸗ ſche Ebene aus Kohlenkalkſtein, auf welchem ausge: dehnte Torfmoore lagern, über welche die aus älterm Geſtein beſtehenden Gebirgszüge hervorragen. Die geognoſtiſche Beſchaffenheit der Gebirge läßt uns in ihnen eine Fortſetzung der Berge von Schottland und Wales erkennen. Die erſten drei der oben genannten Gebirgszüge beſtehen aus ſiluriſchen Schiefern, gleich den in Schottland vorkommenden, durchbrochen von Granit, von dem metamorphiſche Geſteine ſie ſchei— den. Im nördlichen Antrim tritt Baſalt maſſenhaft auf, umlagert von Kreide, Grünſand und Lias, den einzigen Gliedern der obern ſekundären Formation, welche man in J. antrifft. Im nordweſtlichen J. fin⸗ det man kriſtalliniſche Schiefer mit demſelben Strei— chen und Fallen wie in Schottland (Sutherland); ſie werden durchbrochen von Granit, Quarzfels und Porphyr, und in Verbindung mit ihnen treten Ver⸗ ſteinerungen führende ſiluriſche Geſteine und devoni— ſche Sandſteine auf. Blei und Zinn kommen vor, werden aber nicht ausgebeutet. Die Wicklowberge im S. von Dublin beſtehen aus Granit und Glimmer— ſchiefer, mit Thonſchiefer in den fruchtbaren Fluß— thälern. Sie bergen Blei und Kupferkies und in ge— ringer Menge Zinn, Silber und Golderze. Auch wurde Gold in dem Flußſand des öſtlichen Abhanges gefunden. Die Gebirge des ſüdweſtlichen J. endlich ſtimmen in ihrem geologiſchen Bau mit denjenigen von Wales überein. Alte Kalkſteine und ſiluriſche Schiefer herrſchen vor. In den Galtymorebergen treten devoniſche Sandſteine auf.
Gewäſſer, Klima.
J. iſt gut bewäſſert; nicht weniger als 237 Flüſſe und Flüßchen (ohne die Nebenflüſſe) eilen dem Meer zu. Ihr Lauf iſt nicht reißend, häufig erweitern ſie ſich zu Seen, und viele unter ihnen ſind faſt bis zu ihrer Quelle ſchiffbar. Der wichtigſte unter ihnen iſt der Shannon, ihm zunächſt kommen der Suir (mit dem Barrow und Nore) und der Bann. Eine Beſchrei— bung der wichtigern dieſer Flüſſe findet der Leſer in den beſondern Artikeln. Hier beſchränken wir uns auf Angabe der Größe ihres Flußgebiets und der Länge
R Länge Flußgebiet Flüſſe alen. n OMeit. ( Vopne 113 28693 48» Oſtküſte I Liffe g. 132 1370 24.8 Sla nenn 117 1761 320 Südküſt Suir (mit Barrow) . 184 | 9207 167.3 üͤdküſte | Blackwater 167 3325 | 604 Shannen . | 28 | 15695 | 2850 u. Corrib (mit Clare) 9 3139 57,0 Weſtküſte] Moor 100 | 2085 | 37 Fre „ 104 | 4374 | 794 ole E 2926 53,1 Nordlüfte [ Vann 137 | 5707 | 105.2
27 QM.), Lough Nee (129 qkm oder 2,3 QM.) und Lough Derg (93 qkm oder 1,7 QM.). Die Seen von Killarney ſind berühmt wegen ihrer romantiſchen Umgebungen.
Das Klima von J. iſt ozeaniſch mild und feucht, im Durchſchnitt fallen jährlich 91 em Regen. An der Weſtküſte ſind die Regenmengen bedeutender als an der Oſtküſte, ganz ähnlich, wie dies in England der
Slieve Bloomberge (528 m) die bedeutendſten find. Fall iſt. So fallen in Dublin jährlich 78 em, in Lon—
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Irland (Areal, Bevölkerung, Nationalität). | 5
donderry 7 79, in Cork bereits 103 und in den Bergen von Kerry bis zu 250 em. Die Feuchtigkeit der Luft iſt einesteils dem Ackerbau nicht günſtig, erzeugt aber andernteils in Verbindung mit der reichlichen Bewäſ— ſerung jenes immer friſche Grün, welchem das Land den Namen der grünen Inſel⸗ oder der »Smaragd: injel« (Emerald island) verdankt. Selten bleibt, ſelbſt auf den Bergen, der Schnee längere Zeit liegen. In Dublin beträgt die mittlere Jahrestemperatur 10° & und der Unterſchied zwischen dem kälteſten und wärmſten Monat 12%. An der Südweſtküſte fällt das Thermometer nur in ſeltenen Fällen unter den Gefrierpunkt. Fauna und Flora ſtimmen im all: gemeinen mit der Englands überein, nur daß im ge— birgigen Teil Weſtirlands, wo auch der Arbutus (Erdbeerbaum) des Mittelmeers wächſt, die Flora der Pyrenäen vertreten iſt. An der Südküſte ge: deihen im Freien die amerikaniſche Agave, Kamelien, Proteen vom Kap und Südfrüchte. Bemerkenswert iſt, daß Kröten und Nattern in J. nicht vorkommen. Der iriſche Haſe gehört einer andern Spezies an als der engliſche. Der Wolf iſt ſeit 1710 verſchwunden. Unter den vorweltlichen Tieren feſſelt beſonders der iriſche Rieſenhirſch (Cervus megaceros) unſre Auf— merkſamkeit, welcher gleichzeitig mit dem Hippopo⸗ tamus und Mammut exiſtierte.
Areal und Bevölkerung.
Ab⸗ oder gKa⸗ Der Areal Bevöl- Zus tho⸗ iriſchen Grafſchaften kerung nahme liſch Sprache DRK: QMei⸗ 1881 1871—81 mächtig lom.] len e Proz. Proz.] Proz. Carlow. 8960 16,3 46568 — 9,82 | 88,5 0,4 Dublin 918] 16,7| 418910 3,37 | 78,6 1,2 Kildare 1693] 30,7] 75804| — 9,84 87,0 0,3 Kiltenny . 20631 37,5! 99531 — 9,00 | 93,6 9,3 King's County. | 1999| 36.3 72852 — 4,02 89.3 0,7 Longford. 1090| 19,83 61009 — 5,41 | 91,0 1,1 Louth (mit Dro- gheda) . 8180 14,9 77684 — 7,54 90,2 1.2 Meath. 2347 42,6 87469 — 8,47 93.4 4,0 Queen's County 1719] 31.2 73124 — 8,33 88,0 04 Weſtmeath . 1835| 33,3! 71798) — 8,46 | 92,2 12 Meriord . . 2333 42,4 123854 — 0,84 91,1 0,4 Widlow . . 2024| 36,3) 70386| —10,56 | 79,9 0,3 Leinſter: 19735 358,4 1278 989 — 4,51 856 2,1 Clare 3351] 60,9] 141457 — 4,33 97.9 46,0 Cork. 7485 135,9 495607] — 4,15 90,9 35,1 Kerrg. . 4799 87,1] 201039 2,27 96,6 49,4 Limerick. . | 27551 50,0] 180632 — 5,89 94,9 17,9 Tipperary . . 4296] 78,0 199612 — 7,90 94,2 11,9 Waterford . . | 1868| 33,9 1868 33,0 | 112708 — 8.58 94 45,8 94,4 45,8 Munſter: 24554, 445,9 1331115 — 4,48 | 93,3 33,5 Antrim . | 3084| 56,0 421943 4,44 | 26,7 0,8 Armagh . 1328| 24,1 163177| — 8,97 |464| 42 Gavan. . . . | 1932) 35,1 129476 — 8,00 | 80,9 5,4 Donegal 4844| 88.0] 206035 — 5,83 | 76,5 34,8 Down 24780 45,0 272 107 — 7,27 30,9 0,4 Fermanagh. . | 1851| 33,6 84879 — 8,53 | 55,8 1,5 Londonderry. . | 2114| 38,4 164991 | — 5,13 | 444 | 2,2 Monaghan. . | 1294| 23,5 102748 —10,63 | 73,7 6,4 Tyrone 3264| 59,3 197719 — 8,37 55,5 5,0 ulſter: 22189 403,0 1743075 — 4,92 47s 63 Galwa . . 6352| 115,3 242005 — 3,07 96,6 64,2 Leitrim . | 1588| 28,8 90372 — 5,43 90,2 10,6 Mayo. . | 5507| 100,0 | 245212 0,14 |97,1| 69,2 Roscommon. . | 2459| 44,7| 132490 — 5,82 96,5 16,3 Sligo. . . | 1869| 33,9 111578 — 3,39 90,9 | 28,6 Connaught: 17775] 322,8 821657 — 2.90 95,3 44.6 Ganz Irland: 84252 1602,75 174 836 — 4,59 | 76,5 | 18,2
Mitte 1888 ſchätzte man die Bevölkerung auf 4,887,439 Seelen.
Die erſte genauere Bevölkerungsangabe, von 1695, kennt 1,034,102 Bes Irlands; um 1750 war die Volkszahl ſchon auf 2,372,634, 1811, wo regel⸗ mäßige Zählungen begannen, auf 5,937, 856, 1841 auf 8,196,597, 1845 auf 8,295,061 geſtiegen. Da⸗ mit hatte ſie aber ihren Höhepunkt erreicht. Zwei Jahre hintereinander verſagte die Kartoffelernte, und Hungersnot ſowie Krankheiten forderten Tauſende von Opfern. Dazu kam nun eine immer raſcher ſich ſteigernde Auswanderung nach Großbritannien und namentlich nach Nordamerika, nicht in geringem Grad gefördert durch Unzufriedenheit mit den be⸗ ſtehenden Verhältniſſen, und ſo iſt es erklärlich, daß 1851 die Bevölkerung auf 6,574,278, 1861 auf 5,798,967, 1871 auf 5, 412,377, 1881 aber aufs, 174,836 Seelen geſunken war. Während der Jahre 1851 — 1881 wanderten 2,628,856 Irländer nach dem Aus— land aus (87,630 im Durchſchnitt), und dieſe Aus- wanderung hat noch immer ihr Ende nicht erreicht, hat aber weſentlich abgenommen, denn ſie belief ſich 187181 auf nur 53,000 Seelen, allerdings 1882-85 wieder auf 80,752 jährlich. Aber auch in Großbri⸗ tannien haben Tauſende von Irländern eine neue Heiz mat gefunden, denn 1881 zählte man der Geburt nach 5,843,406 Irländer im Vereinigten Königreich, von denen nur 5 . in J. wohnten. Dagegen lebten in J. nur 22,328 geborne Schotten und 69,382 geborne Engländer. 1876-81 wanderten 95,376 Ir⸗ länder nach Großbritannien aus. Zeitweiſe gehen etwa 15,000 Irländer jährlich nach Schottland und England, um dort bei der Ernte zu helfen. Nach dem Zenſus vom Jahr 1881 leben durchſchnittlich 61 Men- ſchen auf dem Quadratkilometer, und die Bevölkerung iſt am dichteſten in Ulſter (79 auf das Quadratkilo— meter) und in den Grafſchaften Dublin, Antrim, Ar⸗ magh und Down mit bez. 456, 137, 123 und 110 auf das Quadratkilometer. J. tt tein Land großer Städte wie England. Nur Dublin und Belfaſt haben je über 100,000 Einw, en es außer ihnen nur 16 Städte (Cork, Limerick,“ Londonderry, Waterford, Kingstown, Newry, Galway, Kilfenny, Drogheda, Wexford, Dundalk, Sligo, Lisburn, Lurgan, Armagh und Carrickfergus) von über 10,000 Einw. gibt. Insgeſamt aber zählen dieſe 18 Großſtädte des Lan⸗ des nur 824,935 Bewohner oder 15,9 Proz. der ge— ſamten Bevölkerung. Bewohnte Häuſer zählte man 914,108, wovon noch 40,664 Erdhütten mit nur einem Zimmer. Über die Bewegung der Bevölkerung liegen ganz zuverläſſige Angaben nicht vor. Im Durchſchnitt der Jahre 1871 — 81 ſollen auf 1000 Lebende nur 26,3 Geburten und 18, Todesfälle ge: kommen ſein, und dieſe Zahlen werden anſcheinend gerechtfertigt durch die Angaben über den Zivil⸗ ſtand, denn 1881 kamen auf 1000 Einw. 269 Ver⸗ heiratete, 67 Verwitwete, 309 Unverheiratete über 15 Jahre und 355 Kinder. Auf 1000 Männer kamen 1042 Frauen. Von allen Geburten find nur 2,4 Proz. unehelich.
Nationalität, Religion.
Die Bevölkerung Irlands hat wohl zum größten Teil keltiſches Blut in den Adern. Jedenfalls habenſich die Nachkommen der ſchottiſchen und engliſchen Kolo— niſten den eingebornen Kelten derart aſſimiliert, daß ſie in Charakter und Sinnesart als Kelten, d. h. als echte Iren, gelten müſſen. In J. wie im Oſten Euro⸗ pas bildet aber nicht die Nationalität, ſondern die Re⸗ ligion die Scheidewand unter der Bevölkerung. Nicht Kelte und Sachſe ſtehen ſich hier gegenüber, ſondern
6 * Irland (Charakter der Iren, Religion, Bildung).
Proteſtant und Katholik, Drangeman und Papiſt. rig, ſchlau, ſcharfſinnig und witzig, obſchon er aus Bei gewiſſen nationalen Fragen gehen jedoch beide Liſt gern den Anſchein von Stumpfheit und Einfalt Parteien oft Hand in Hand, nur daß der proteſtan- annimmt. Aber bei allen geiſtigen Anlagen fehlt ihm tiſche Ire, ſeinem Urſprung⸗ getreu, beſonnener und die Tiefe; oberflächlich in ſeinem Thun und Denken, in ſeinen Anſprüchen gemäßigter iſt als der beweg- unzuverläſſig bei der Arbeit, wenig ausdauernd und lichere Kelte. Von einer keltiſchen Nationalſprache flatterhaft, iſt er großen Aufgaben nickt gewachſen kann kaum noch die Rede ſein, und die Bemühungen und erringt bei aller krampfhaften Thätigkeit keine der Society for the preservation of the Irish lan- nachhaltigen Erfolge. »Paddy (wie man den Iren guage werden ohne nachhaltigen Erfolg bleiben, ob: nach dem oft vorkommenden Namen Patrick nennt) gleich es ihr gelungen iſt, Iriſch als Unterrichtsgegen⸗ iſt gutherzig und träumeriſch; ſein Vertrauen iſt leicht ſtand in einigen Schulen einzuführen. Indes bedien- zu gewinnen und ſeine Freundſchaft dann zu Liebes⸗ ten ſich 1881 immerhin noch 949,932 Menſchen der dienſten der unbeſonnenſten Art bereit. Dabei hängt iriſchen Sprache (gegen 1,204, 68Aim J. 1851, 714,313 er feſt an ſeiner Familie und ſeinem Stamm. Aber im J. 1871), aber nur 64, 167 Menſchen waren des der ihm ferner Stehende kann ihm kaum Vertrauen Engliſchen unkundig. Am zahlreichſten iſt dieſe iriſch ſchenken, und nur zu oft hat ſich das Sprichwort be⸗ ſprechende Bevölkerung im W. und SW. des Lan⸗ Anheben, daß »wenn man einen Iren an den Spieß des und namentlich in Donegal, in Mayo, Galway | jtedt, ſtets ein andrer Ire bereit it, denſelben zu und Clare, in Kerry und den abgelegenen Gegenden drehen. Verräterei hat in allen iriſchen Erhebungen von Cork und Waterford. In der That nimmt die ſtets eine traurige Rolle geſpielt. Gewiſſenhaftigkeit, ſächſiſche Raſſe in Irland ein größeres Gebiet ein, wie ſie den Engländer ganz beſonders auszeichnet, als man gewöhnlich meint. Sie bildet die Mehrzahl geht dem Iren ab, und mit der Wahrheit nimmt er im weſtlichen Ulſter, wo namentlich Schotten und | es bei großer Einbildungskraft nicht ſehr genau. Reiz⸗
neben ihnen auch Engländer den Hauptſtamm d der Bevölkerung bilden. Sie erſtreckt ſich auch von Du— blin aus durch die Mitte des Landes bis nach Tip⸗ perary hinein und zum Shannon; ſie hat ferner in Wexford und Waterford feſten Fuß gefaßt. Mit ihr vermiſcht leben die Abkömmlinge der ſkandinavi⸗ ſchen Eroberer aus frühſter Zeit. In der Baronie Forth, in Wexford, leben die Nachkommen keltiſcher Einwanderer aus Wales, die Strongbow 1169 hier anſiedelte, und die noch Ende des 18. Jahrh. ihre kym⸗ riſche Mutterſprache nicht vergeſſen hatten. Von untergeordneter Bedeutung waren die Spanier, die ſich in Galway und Kinſale niederließen, und die proteſtantiſchenPfälzer(Palatines), die Lord South well im 17. Jahrh. bei Limerick einführte, und die ſich noch jetzt vorteilhaft vom umwohnenden Land— 5 volk unterſcheiden, wenn ſie auch längſt ihre Mutter- ſprache verloren haben. Beim keltiſchen Grundſtock der Bevölkerung laſſen ſich zwei Typen unterſcheiden. Die ſogen. Mileſier (der Sage nach von den aus Spanien herübergekommenen Söhnen des Königs Mileſius abſtammend) haben ſchwarzes Haar, glän⸗ zende, dunkle Augen, ovales Geſicht, fein gebildete und nervige Formen. Sie herrſchen im W. und S. vor. Das mittlere J J. und die Bergbezirke bewohnen | die echten Iren, mit hohen Backenkn ochen, ſtumpfer Naſe, rundem Geſicht, grauen Augen, grobem brauz | nen Haar, muskulöſem Körper und unterſetztem Wuchs. Dieſe ſämtlichen Elemente ſind aber derart verſchmolzen, daß man füglich von einer iriſchen Na- tionalität ſprechen kann, die ſich feſter an das Land fettet als an Vorfahren und Mutterſprache, und die, wenn auch großenteils engliſcher Abkunft, doch den Engländer als »Ausländer betrachtet und faſt ein— ſtimmig Irland für die Iren reklamiert.
Der Charakter der echten Iren iſt ein höchſteigen— tümliches Gemiſch von allerlei einander großenteils widerſprechenden Eigenſchaften, unter denen manche der ſchlechtern freilich durch die ungünſtigen Verhält— niſſe, in denen ſich dieſes Volk ſeit langer Zeit befin— det, ſtärker entwickelt ſind. Ein beweglicher, leichter Sinn bildet die Grundlage des iriſchen Charakters, und derſelbe zeigt faſt alle Tugenden, die mit ſolchem vereinbar ſind, während ſeine Fehler meiſt in ent- d ſprechendem Mangel an Beſonnenheit, Ausdauer und Selbſtbeherrſchung beruhen. Dichteriſche Begabung, Kunſtſinn, Liebe zur Muſik und Beredſamkeit laſſen ſich dem Irländer nicht abſprechen. Er iſt wißbegie: |
bar, zur Rauferei und zu Gewaltthätigkeiten geneigt, liebt er auch laute Luſtbarkeit. Gaſtfrei und ver⸗ ſchwenderiſch, vergißt er der Zukunft. Ebenſo leicht,
wie er ſich der Völlerei ergibt, erträgt er auch den
Mangel und iſt zufrieden, wenn er nur Kartoffeln hat, das Leben zu friſten. Daß bei dieſem National- charakter die aus England nach J. verpflanzten Ein⸗ richtungen nicht ſtets einen günſtigen Boden fanden, iſt ſelbſtverſtändlich.
Religion. Im J. 1881 zählte man 3,960,891 Ka⸗ tholiken (76,5 Proz.), 639,574 Mitglieder der biſchöf⸗ lichen Kirche (12,1 Proz.), 470,734 Presbyterianer
(9,1 Proz.), 102,635 Methodiſten und andre Diſſi⸗ denten (1,9 Proz .) und 472 Juden. Dagegen bildeten die Katholiken 1731 nur 65 Proz., 1834 aber 81 Proz. der Bevölkerung. Die ehemalige proteſtanti⸗ ſche Staatskirche wurde 1871 aufgehoben, ihr Ver⸗ mögen (16, Mill. Pfd. Sterl.) eingezogen und aus ihm den Geiſtlichen ꝛe. Leibrenten (zuſammen 228,856 Pfd. Sterl.) ausgeſetzt oder eine einmalige Entſchä⸗
digung gezahlt. Ferner wurden der aus der ehema⸗
ligen Staatskirche hervorgegangenen Church of Ire- land 1 Mill. Pfd. Sterl. als Entſchädigung für Pri⸗ vatſtiftungen gewährt; das katholiſche Maynooth College erhielt 372,330 Pfd. Sterl., die Presbyteria⸗ ner 751,625 Pfd. Sterl., die e ehemaligen Kirchenpa⸗ trone 740,510 Pfd. Sterl. Der Überſchuß (etwa 5,2 Mill.) wird für allgemeine Zwecke verwendet. Die jetzige Kirche von Irland erfreut ſich (1884) bereits wieder einer Jahreseinnahme von 190,611 Pfd. Sterl. An ihrer Spitze ſtehen 2 Erzbiſchöfe (zu Armagh und Dublin) und 10 Biſchöfe. In ihrer Synode haben 207 Geiſtliche und 414 Laien Sitz und Stimme, wäh⸗ rend der aus ihr hervorgegangene Representative
Church Body Außer den Biſchöfen aus 48 Mitglie⸗
dern beſteht. Die römiſch⸗katholiſche Kirche ſteht
unter 4 Erzbiſchöfen Armagh, Dublin, Caſhel, Tuam)
und 23 Biſchöfen. Sie unterhält 2378 Kirchen mit 3171 Geiſtlichen, 97 Manns: und 270 Frauenklöſter. Bildung.
Was das Schulweſen anbelangt, ſo haben die ſeit 1845 eingerichteten konfeſſionsloſen National: ſchulen viel geleiſtet, obwohl ſie ſich nie der Gunſt es katholiſchen Klerus erfreuten und ſchon lange nicht mehr konfeſſionsloſe Schulen ſind. Neben ihnen beſtehen zahlreiche von religiöſen Genoſſenſchaften ohne Staatszuſchuß geleitete Schulen. Der Zenſus von 1881 führt an: 9151 Elementarſchulen mit
Irland Schulen 2c., Landwirtſchaſt).
675,036 Schülern (davon 7668 Nationaljchulen | mit 596,531 Schülern), 488 Sekundärſchulen mit 20,405 und 16 Colleges mit 4315 Schülern. Im J. 1885 waren in den 7936 Nationalſchulen 1,075,604 Kinder eingeſchrieben, im Durchſchnitt wurden ſie aber nur von 502,454 Kindern beſucht. Die Col: leges ſind: die 1591 geſtiftete Dubliner Univerſität (Trinity College), jetzt allen ohne Unterſchied des Glaubens zugänglich (1338 Studenten), die drei kon— feſſionsloſen Queen's Colleges in Belfaſt, Cork und Limerick (1043 Studenten), die katholiſche Univerſität von Dublin, mit S affiliierten Colleges (1068 Stu— denten), das katholiſche Prieſterſeminar Maynooth College (466 Studenten) und 3 proteſtantiſche Col: leges (390 Studenten). Außerdem ſind zu erwähnen: die techniſche Schule (School of science) in Dublin, die landwirtſchaftliche Akademie zu Glasnevin, eine Kunſtakademie, eine Akademie der Muſik. An der Spitze der gelehrten Geſellſchaften ſtehen die Royal Society von Dublin und die Royal Iriſh Aca— demy. Daß der Unterricht gute Früchte trägt, be— weiſt die Thatſache, daß 1881 nur 25,2 Proz. der über fünf Jahre alten Bewohner nicht leſen konnten, wäh— rend ſich 1861: 38,7 Proz. in der gleichen Lage be— fanden. Daß dabei die Katholiken weit hinter den Proteſtanten zurückſtehen, iſt nachgewieſen. 1881 waren 30,1 Proz. der im angegebenen Alter ſtehenden Katholiken des Leſens unkundig, dagegen nur 5,5 Proz. Methodiſten, 7, Proz. Presbyterianer und 10,9 Proz. Mitglieder der biſchöflich-proteſtantiſchen Kirche.
Mit fortſchreitender Bildung und bei größerm Wohlſtand hat die Zahl der Verbrechen ab jenommen, doch war dabei wohl auch nicht ohne Einfluß, daß gerade viele der ſchlimmſten Elemente nach Groß— britannien und Amerika auswanderten, wie die Ge— richte dieſer Länder erfahren haben. Es wurden während der letzten drei Jahrzehnte vor die Geſchwor— nengerichte verwieſen:
Verbrecher £ Verbrecher auf 100.000 Frei. Prozent Bewohner gesprochen
1851 | 246% 374 10.288 42 1861 5586 104 2292 41 1871 4482 83 1911 42 1880 4716 88 2319 49 1881 5811 103 2698 51 1884 2925 59 1300 44
Dazu kommen aber noch die Vergehen, welche nach dem Geſetz vom Jahr 1882 (Crimes' Act) ohne Zu— ziehung von Geſchwornen verfolgt werden, als Dro— hungen, Aufruhr, Agrarverbrechen ꝛc. Von ſolchen kamen 1883: 841 zur Verhandlung, 1884: 701, 1885: nur 503. Die große Zahl der Freiſprechungen darf man wohl großenteils dem Einfluß der Nationalliga und ehemaligen Landliga zuſchreiben, deren Repreſ— ſalien die Geſchwornen zu befürchten haben. Wegen geringerer Vergehen und Übertretungen wurden 1875: 243,145, 1881: 208,193, 1884: 233,188 Per⸗ ſonen zur Rechenſchaft gezogen. Verurteilt wurden 1884: 198,214 Perſonen, unter ihnen 92,927 wegen Trunkenheit und 28,993 wegen Schlägereien.
Im J. 1881 hatten die Gefängniſſe eine Bevöl⸗ kerung von 3280 Seelen, in 10 Beſſerungsanſtalten (Reformatories) befanden ſich 1195 jugendliche Ver— brecher, in 52 Induſtrieſchulen 6160 verwahrlo ſe Kinder, die ein Vergehen begangen hatten. Das Tragen von Waffen unterliegt namentlich in den proklamierten, d. h. in Belagerungszuſtand erklärten, Bezirken einer Einſchränkung.
I
Landwirtſchaft, Fiſcherei, Bergbau.
Den Haupterwerbszweig bildet die Landwirt— ſchaft, deren Entwickelung indes durch die Eigen— tumsverhältniſſe wie infolge der Zerſtückelung des Bodens gehemmt worden iſt. Unter Eliſabeth, Ja— kob I. und deren Nachfolgern kamen neun Zehntel des Landes durch Konfiskation in die Hände von Eigentümern, von denen viele bereits in England große Güter hatten. Die Bewirtſchaftung ihrer neuen iriſchen Beſitzungen überließen ſie Mittels— männern, die Einkünfte aber verzehrten ſie im Aus— land. Zwar ſind in neuerer Zeit durch Vermitte— lung des Encumbered Estates Court viele verſchul— dete Güter zerſtückelt und verkauft und auch ein Teil der Kirchengüter veräußert worden, im großen aber hat dies an den Beſitzverhältniſſen nur wenig ge— ändert Allerdings gab es 1875: 68,716 Grund— eigentümer, von ihnen hatten aber 36,144 einen Beſitz von unter 1 Aere (40 Ar), während faſt die Hälfte des ganzen Landes ſich im Beſitz von 744 Eigentü— mern, nahezu zwei Drittel in dem von 1942 Eigen⸗ tümern befanden. Von 19,547 größern Gutsbeſitzern im J. 1870, welche eine Rente von 10 Mill. Pfd. Sterl. bezogen, lebten 5946 als Abſentees außerhalb des Landes. Daß unter ſolchen Umſtänden der Wohl— ſtand Irlands tief geſchädigt wurde, liegt auf der Hand. Die Erkenntnis dieſer Übelſtände hatte Re— formverſuche zur Folge (darüber ſ. unten, Geſchichte).
Bei der früher raſch anwachſenden Bevölkerung und dem Mangel an anderweitigen Erwerbsquellen hat ſich in J. eine Zwergwirtſchaft herausgebildet, wie ſie wohl in keinem andern Land zu finden iſt. Hungersnot, Auswanderung und auch die früher recht zahlreiche Ausſchließung der Pachter haben indes zu— ſammengewirkt und etwas beſſere Zuſtände geſchaffen. Während noch 1841 die durchſchnittliche Größe eines Pachtgutes 11,33 Hektar war, ſtieg dieſe Größe 1860 auf 13,76, 1881 auf 14,97 Hektar. 1841 gab es erſt 40,625 Pachtgüter, die über 12 Hektar groß waren, 1881 aber 150,139, und in letzterm Jahr waren in allem 7,401,027 Hektar unter 499,109 Pachtgüter (holdings) verteilt.
Welche Wandlungen die Landwirtſchaft in J. ſeit 1851 durchgemacht hat, zeigt die folgende Tabelle:
Areal in Tauſenden von Acres (1 H ktar S 2,47 Acres)
Jahr 1 Ackerland Weiden | Wald Gewäſſer Unbebaut
1841 5238 8226 374 681 6303 1851 6054 8749 305 631 5083 1861 5931 9534 317 627 4413 1871 5642 10069 325 626 4160 1881 5213 10.092 329 625 4563 1885 4973 10246 333 625 | 4646
Alſo auch in J. zeigt ſich wie in Großbritannien eine Zunahme der Weiden auf Koſten des Ackerlandes und der Anpflanzungen (plantations) von Wald, gleich— zeitig aber ſeit 1871 eine bedauerliche Abnahme der geſamten landwirtſchaftlich verwerteten Fläche. Daß aber große Strecken der Moorländer und Marſchen (1581: 1,720,000 Aeres) durch Drainierung der Kultur gewonnen werden können, das hat das Parlaments- mitglied Mitchel Henry praktiſch bewieſen. Immer— hin aber kamen 1851 auf 100 Aeres Ackerland noch 108 Bewohner, dagegen 1885 nur 99, während gleich— zeitig die Weiden um 17 Proz zugenommen hatten.
Hauptprodukte des Ackerbaues ſind: Hafer, Kartof⸗ feln, Rüben und Futterkräuter. Der Anbau von Wei: zen nimmt ſtetig ab, denn man ſieht ein, daß J. ſchon ſeines ſeuchten Klimas halber nicht mit Amerika als
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Getreidekammer konkurrieren kann, und daß es loh— nender iſt, die benachbarten großbritanniſchen Märkte mit Schlachtvieh, Butter und Speck zu verſehen. Auch der Flachsbau hat bedeutend abgenommen trotz der von der Regierung bewilligten Unterſtützungen. Im J. 1885 waren bebaut mit Getreide 642,200, mit Bohnen und Erbſen 2800, mit Kartoffeln 322,500, mit Rüben und Kohl 170,770, mit Flachs 43,705, mit Klee, Luzerne ꝛc. 822,696 Hektar. 7689 Hektar lagen brach, 504,219 beſtanden aus Weiden, 134,755 waren bewaldet.
Der Viehſtand nahm ſeit 1851 bedeutend zu:
1851 1871 1881 10885 Pferde. 543312 | 478124 489458 | 491000 | Rinder. . . 2606761 | 3973102 | 39 4479 | 4229000 Schafe 2122128 | 4223721 | 3258583 3478000 Schweine 1084857 | 1616754 | 1088041 | 1269 000
Dazu kommen (1885) 13,849,000 Stück Geflügel (1851 erſt 7,470,694).
Die Fiſcherei iſt für J. von Bedeutung und könnte es in noch höherm Grad werden, denn das um— gebende Meer wimmelt von Fiſchen aller Art: Kabel— jaus, Rotaugen (hakes), Lengs, Heringen, Makre— len ꝛc., und in den größern Flüſſen, namentlich im Bann, Foyle, Boyne und Shannon, wird die Lachs— fiſcherei mit Erfolg betrieben. Die Auſternzucht (an der Küſte von South Wicklow) hat man zu heben ge— ſucht, doch ohne weſentlichen Erfolg. Die Seefiſche— rei wird 1886 von 27,300 Menſchen mit 8972 Boo— ten betrieben.
Es fehlt zwar J. nicht an nützlichen Metallen und Steinkohlen, aber der Bergbau iſt nur wenig ent— wickelt. Im J. 1885 betrug der Wert der ſämtlichen Produkte des Mineralreichs nur 388,283 Pfd. Sterl., wovon 285,624 auf Bauſteine, Schiefer und Thon kommen. Am wertvollſten ſind noch die Steinkoh— len (Ertrag 1885: 109,035 Ton.), welche in ſieben ge— trennten Feldern auftreten. Am ausgedehnteſten iſt das große Kohlenfeld von Munſterin den Grafſchaften Clare, Limerick, Cork und Kerry; ein kleineres Kohlen— feld liegt in Tipperary, ein andres in Leinſter. Die in den erwähnten Revieren gefundenen Kohlen ſind Anthracit, dagegen kommen in den drei kleinen Koh- lenfeldern von Ulſter und in demjenigen von Con— naught (in der Nähe vom Lough Allen) bituminöſe Kohlen vor und in letzterm außerdem Maſſen von Ei— ſenerz. Auch in der Nähe von Waterford, im S. Ir— lands, will man jüngſt gute Kohlen entdeckt haben. Braunkohlen finden ſich am Lough Neagh. Torf- moore (bogs) kommen in großen Maſſen vor. Sie be— decken 6077 qkm (111 OM.) Flachland und 2486 qkm (45,1 OM.) Hügelland. Erſtere find ſelten über 2 m mächtig, letztere bis 10m. Sie ſind zum Teil rotbraun und mit Heidekraut bedeckt, zum Teil ſchwarz und feſt, in der Tiefe aus feſter, pech- oder kohlenartiger Sub— ſtanz beſtehend, dem gewöhnlichen Brennmaterial des Landvolkes. Manchmal enthalten ſie Holzreſte (bogwood), welche zur Anfertigung von Schmuck— ſachen verwendet werden. Ein Teil der Torfmoore iſt bereits entwäſſert worden und dient als Weide oder ſelbſt als Ackerland. Eiſenerze finden ſich in Antrim (Ertrag 107,646 Ton.), Raſeneiſenſtein in verſchiedenen Teilen des Landes. Steinſalz kommt bei Carrickfergus vor (Ausbeute 23,211 T.). Außer: | dem werden in geringen Quantitäten gewonnen: Ku- pfer, Blei und Zink, Alaun, Baryt, Thon, Gips, Ocker und namentlich ſchöne Bauſteine, einſchließlich von Granit und Marmor.
Irland CFiſcherei, Bergbau, Induſtrie, Handel, Nationaleinfommen).
Induſtrie, Handel, Nationaleinkommen.
Daß J. kein Fabrikſtaat geworden, erklärt ſich hin— reichend durch die geringen natürlichen Hilfsmittel des Landes im Vergleich mit denjenigen des benach— barten Großbritannien. Allerdings trat England 16981779 der natürlichen Entwickelung der iriſchen Wollinduſtrie durch Ausfuhrverbote entgegen, die es zu gunſten ſeiner eignen Fabrikanten erließ, an— derſeits aber ließ es kein Mittel unverſucht, um jene Induſtrie durch die Leinweberei zu erſetzen, und noch bis 1830 erhielten die iriſchen Fabrikanten hohe Ausfuhrprämien. Gegenwärtig iſt ebenjene Lein- weberei der blühendſte Induſtriezweig des Landes. Von den 981,594 Spindeln und 25,472 mechaniſchen Webſtühlen mit 68,158 Arbeitern, welche ſich 1881 in ſämtlichen 230 Textilfabriken Irlands befanden, entfielen 862,276 Spindeln, 21,954 Stühle und 61,749 Arbeiter auf Leinwandfabriken. Nächſt Lein⸗ wand iſt die Fabrikation von wollenen und baum: wollenen Waaren leinſchließlich von Popelins) ſowie die Spitzenklöppelei und Muſſelinſtickerei von Be⸗ deutung. Hauptſitz der geſamten Textilinduſtrie iſt die Provinz Ulſter und namentlich Belfaſt, aber auch in Dublin, Limerick und bei Cork ſind Fabriken ent- ſtanden. Wichtig ſind außerdem: die Maſchinenbau— ſtätten, Werften und Na elſchmieden von Belfaſt, die Tabaksfabriken von Dublin und Limerick, die Brannt— wein-(Whiskey-) Brennereien und die Bierbrauerei (in Dublin berühmter Stout). Vgl. Großbritan— nien, S. 769 f.
Der Handel Irlands iſt weſentlich ein Handel mit der Nachbarinſel. Die Einfuhr vom Ausland betrug 1885 nur 8,982,887 Pfd. Sterl., und die direkte Ausfuhr iſt ganz unbedeutend (1885: 750,871 Pfd. Sterl), da die Ausfuhr iriſcher Produkte faſt aus— ſchließlich durch Liverpooler und Glasgower Häuſer vermittelt wird. Zur Einfuhr gelangen namentlich Kolonialwaaren, Lebensmittel und Wein ſowie ver— ſchiedene Manufakturen; ausgeführt werden Schlacht— vieh, Pferde, Butter, Speck, Schmalz, Leinwand— waren, Whiskey und Bier. Neuere Angaben über den Betrag dieſes Handels liegen nicht vor. Im J. 1801 wertete die geſamte Ausfuhr 3,8 Mill. Pfd. Sterl., 1825 bereits 9,1 Mill. Pfd. Sterl. (wovon 697,667 Pfd. Sterl. nach dem Ausland). Den Handel fördern Ei— ſenbahnen in einer Länge von 4040 km und Ka— näle (zufammen 560 kin), wovon zwei, der Grand und der Royal Canal (s. d.), Dublin mit dem Shannon verbinden, während der Ulſterkanal von Belfaſt nach Lough Neagh führt. Seeſchiffe beſitzt J. (1:86: 1427 mit einem Gehalt von 235,345 Ton., darunter 277 Dampfer. Im J. 1885 liefen 1394 Schiffe von 900,405 T. vom Ausland und 28,831 Schiffe von 5,819,590 T. im Küſtenhandel ein. Die Poſt be— förderte 1884— 85: 89 Mill. Briefe, 8 Mill. Poſtkarten, 33 Mill. Kreuzbandſendungen und 1 Mill. Pakete, und es wurden Geldanweiſungen im Betrag von 1,210,843 Pfd. Sterl. ausgeſtellt.
Nationaleinkommen. Im Vergleich mit Eng— land darf man wohl J. ein armes Land nennen, immerhin aber haben ſich die Verhältniſſe ſeit der Hungersnot in den 40er Jahren bedeutend gebeſſert. Das Kapital der Sparkaſſen tft 1851 S4von1,359,103 auf 4,343,611 Pfd. Sterl. geſtiegen; das ſteuerpflichtige Einkommen belief ſich 1862 auf 23 ½ Mill. Pfd. Sterl., 1884 aber auf 30 Mill. Pfd. Sterl., obgleich in erſterm Jahr auf alle Einkommen über 100 Pfd. Sterl., in letzterm nur auf ſolche von über 150 Pfd. Sterl. Steuern gezahlt wurden und die Bevölkerung von 5,775,000 auf 4,962,000 Seelen gefallen war. Die Erbſchafts—
Irland (Verwaltung, Rechtspflege ꝛc.; Geſchichte).
ſteuer wurde 1871 von 7,532,920, 1884 von 10,650,072 Pfd. Sterl. bezahlt; der Steuerwert des liegenden Eigentums iſt 187384 von 13,417,922 auf 13,856,000 Pfd. Sterl. geſtiegen. Eine Überſicht des Einkommens (in Tauſenden von Pfund Sterling) bietet die fol— gende Tabelle:
0 2001876 1877 1884
Einnahmequellen 1862˙
Landbeſitz . 8193 | 9291 | 9938 9982 eee 3 34 | 3614 3010 | 3355 Yandwirtidaft. . » » 2957 | 3097 | 3313 | 3327 Eiſen bahnen . 798 109) | 1186 | 1296 Handel, Gewerbe. 4858 9187 | 8460 | 8890
Gehalte, Annuitäten, Zinſen von der Staatsſchuld zc. 3477 | 3056 | 2933 | 3353 Zuſammen: |23597 |29335 |28840 | 30203
1862 und 1876 beziehen ſich auf Einkommen über 100, 1877 und 1884 auf ſolche über 150 Pid. Sterl.
Von dem deklarierten Einkommen entfallen 39 Proz. auf Leinſter, 29 Proz. auf Ulſter, 23 Proz. auf Munſter und 9 Proz. auf Connaught; vom Steuerbetrag bez. 34, 31, 26 und 9 Proz. Wenn nun jedenfalls nach obigen Zahlen J. im ganzen wohlhabender geworden iſt, jo hai doch die Zahl der Armen nicht abgenom— men wie in den benachbarten Königreichen, im Ge— genteil, im Verhältnis zur Bevölkerung iſt dieſelbe gewachſen. Im J. 186! erhielten 50,683 Arme Un⸗ terſtützung . 10,422 arbeitsfähige Er— wachſene), 1871: 74,692; 1880: 100,856; 1884: 108,831; 1585: 106,717 (7416 arbeitsfähig), und es kam in den genannten Jahren bez. 1 Armer auf je 114, 72, 53, 46 und 46 Bewohner.
Verwaltung, Rechtspflege ꝛc.
Seit Auflöſung des irischen Parlaments im J. 1799 bildet J. einen Teil des „Vereinigten Königreichs 1 von Großbritannien und J. und iſt im Reichsparla— ment durch 28 Peers und 103 Vertreter der Gemeinen vertreten ((. Großbritannien, S. 776 f.). An der Spitze der Verwaltung ſteht der von dem jeweiligen Miniſterium ernannte Lord-Lieutenant, als Ver— treter der Krone, der einen Gehalt von 2,000 Pfd. Sterl. bezieht und von einem förmlichen Hofſtaat umgeben iſt. Ihm zur Seite ſtehen der Staats— ſekretär für J. (gewöhnlich Kabinettsminiſter) und ein Geheimer Rat, deſſen Wirkſamkeit indes eine ſehr beſchränkte iſt. Die oberſten Gerichtshöfe ſind denjenigen Englands nachgebildet. Es ſind ein High Court of Justice in 5 Abteilungen, ein Ad— miralitätsgericht, ein Gerichtshof für Bankrottſachen und ein Gerichtshof für Landfragen (Land Com- missioners’ Court) mit zuſammen 21 Richtern. Die Verwaltung der Grafſchaften liegt in den Händen eines Lieutenants und mehrerer Deputy-Lieutenants, welche ſämtlich vom Lord-Lieutenant ernannt wer— den, und von „Friedensrichtern, welche der Lord: Kanzler von J. ernennt. Sie bilden die ſogen. Grand Jury, welche die Grafſchaftsſteuern erhebt und verwaltet. Ein beſoldeter Richter (stipendiary magistrate) führt bei den Verhandlungen den Vor— ſitz. Die Verwaltung des Armenweſens liegt in den Händen von Guardians, die von den höher Be— ſteuerten gewählt werden, zu denen aber auch die Friedensrichter ex officio gehören. Elf Städte haben eine Munizipalverfaſſung, 108 andre erfreuen ſich beſchränkterer ſtädtiſcher Rechte, aber in allen iſt die Wählerſchaft eine ſehr beſchränkte. Für Aufrecht— haltung der öffentlichen Ruhe ſorgen eine militäriſch 5 Conſtabulary (13,334 Mann) und eine
Schutzmannſchaft in Dublin (1181 Mann). An Mi-
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litär ſtehen in J. 5 Regimenter Reiterei, 8 Batterien Artillerie, 1 Gardebataillon, 4 iriſche und 21 nicht⸗ iriſche Bataillone Infanterie und 27 Milizbataillone. In J. rekrutieren ſich aber 18 Batterien Küſten⸗ artillerie, 17 Linien- und 27 Milizbataillone.
Als J. mit Großbritannien zu einem Königreich vereinigt wurde, beſtimmte man, daß es s der ge: meinſchaftlichen Ausgaben zu decken habe; augen⸗ blickliche aber beträgt jein Beitrag? 23. Im J. 1884-85 zahlte J. 6,523,000 Pfd. Sterl. in die Staatskaſſe, wovon indes über 4 Mill. in J. ſelbſt verausgabt wurden (ohne Militär). Anderſeits hat der Staat von 1846 bis März 1> 86 für iriſche Zwecke 33,668,127 Pfd. Sterl. als Anleihen bewilligt, wovon 17,693,820 Pfd. Sterl. abgezahlt, 9,140,002 Pfd. Sterl. erlaſſen (allein für die Hungersnot 1846-49: 7,029,304 Pfd. Sterl.) und 6,834,305 Pfd. Sterl. noch rückſtändig ſind. An Lokalſteuern wurden 1884 in J. erhoben 3,788,940 Pfd. Sterl. (2,955,955 Pfd. Sterl. von liegendem Eigentum). — Das Wappen Irlands iſt
eine goldene Harfe mit ſilbernen Saiten in blauem
Feld; Wahrzeichen iſt das Kleeblatt. National⸗ farbe iſt eigentlich Hellblau, doch ziehen die Natio— nalgeſinnten Grün vor, die prononcierten Proteſtan— En aber Drange (zur Erinnerung an Wilhelm von Oranien). Alles übrige j. Großbritannien. leitteratur.] Vgl. außer den ältern Reiſeſchriften von Clement, Kohl, Venedey, V. A. Huber, Helfferich, Rodenberg (Die Inſel der Heiligen«, Berl. 1860, 2 Bde.): Hull, Physical geology and geography
of Ireland (Lond. 1878); Kinahan, Geology of
Ireland (daſ. 1878); Murphy, Ireland industrial, political and social (daſ. 1870); O'Driscol, Vi jews of Ireland, moral, political and religious (daſ. 1 Trench, Realities of Irish life (daſ. 1868
öfter); Campbell, The Irish land question (af 1869); Sullivan, New Ireland (daſ. 1878); Lord Dufferin, Irish emigration and the tenure of land (daſ. 1878); O'Curry, On the manners and customs of the ancient Irish (daſ. 1873, 3 Bde.); Joyce, Origin and history of Irish names or places 5 Aufl., Dubl. 1883, 2 Bde.); v. Laſaulx, Aus J. (Bonn 1877); Murray, Handbook for traveller in
Ireland (Lond ). Von Kartenwerken ſind zu nennen:
die ſogen. Six inch map« (1: 10,560, in 1907 Blät⸗ tern, ſeit 1864) und die »One inch map« (1: 63,360, in 205 Blättern), welche beide auf der in den Jahren 1825 — 46 erfolgten Landesaufnahme beruhen.
Geſchichte. Irland vor der engliſchen Eroberung.
Die älteſte Geſchichte Irlands iſt reich an Sagen und Fabeln aller Art, aber nur wenig iſt aus zuver— läſſigen Quellen darüber bekannt. Während die ſogen. Bardengeſchichte ſeit dem Jahr 2736 nach Erſchaffung der Welt, in welchem J. von dem aus Aſien ein— gewanderten Stamm = Mileſier erobert worden ſein ſoll, in ununterbrochener Folge ihre wunderſame Erzählung abſpinnt, von der im Licht kritiſcher For— ſchung auch nicht das geringſte Detail beſtehen bleiben kann, iſt in Wirklichteit die frühſte Geſchichte des Landes i in tiefes Dunkel gehüllt. Griechen und Römer kannten nur wenig von der Inſel, als deren ältere Namen Eirin oder Erin und Hibernia (. d.) erſcheinen; ihre älteſten Bewohner, keltiſchen Stam⸗ mes, werden als Skoten und Pikten bezeichnet; die Namen I Iren und J. ſind erſt von den Angelſachſen gebildet. Die Inſel war in jenen frühſten Zeiten in eine große Anzahl kleiner und kleinſter Staaten geteilt, an deren Spitze Fürſten oder Häuptlinge
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ſtanden, welche ihre Kraft in unaufhörlichen innern Kämpfen verzehrten. Die Religion der alten Iren war ein Kultus der Sonne und des Feuers; dem Feuerdienſt gehören die vielbeſprochenen runden Türme an, eylindriſche Gebäude bis zur Höhe von ca. 40 m, mit kegelförmigem Dach, meiſt aus hell— braunem Sandſtein erbaut, deren ſich über 60 in ver— ſchiedenen Teilen Irlands auf Bergen und in Thä— lern erhalten haben (elochach bei den Eingebornen, steeples bei den Anglo-Iren). Auch in J. wie in allen keltiſchen Ländern gab es einen eignen Prieſter— oder Druidenſtand; noch heute heißt im Iriſchen ein Zauberer Draoith. Eine andre erbliche Zunft war die der Barden oder Sänger, deren Lieder zur Harfe geſungen wurden, und deren Einfluß auch im Rat und Gericht der Stammhäuptlinge bedeutend war. Der erſte Verſuch, den Bewohnern von J. das Chriſtentum zu bringen, wurde 431 vom Papſt Cö— leſtinus I. gemacht; Palladius, den dieſer zum Viſchof von Hibernien ernannte und dorthin abſandte, ſtarb aber bald darauf im Piktenland. Mit größerm Er— folg nahm das Werk der Schotte Succath) oder Maun wieder auf, der vom Papſt nach J. geſandt ward und
bei der Biſchofsweihe den Namen Patricius (St. Patrick) erhielt. Es gelang ihm, ſeinen Lehren wil liges Gehör zu verſchaffen, zahlreiche Schüler heran-
zubilden, das Bistum Armagh und andre Kirchen zu gründen und das Chriſtentum in J. feſte Wurzel
ſchlagen zu laſſen. Als er in hohem Alter (man jagt |
von 120 Jahren) ſtarb. wurde er als Heiliger verehrt; er iſt noch jetzt Schutzpatron der Inſel, eine Abkür⸗ zung ſeines Namens (Paddy) die populäre Bezeich—
nung ihrer Bewohner. Im folgenden (6.) Jahrhundert
iſt die chriſtliche Kultur gerade in J. zu ganz beſon— derer Blüte gediehen; von iriſchen Klöſtern aus zogen zahlreiche Apoſtel (ſo der heil. Columban, der Grün— der von Bobbio, der heil. Gallus, der Gründer von St. Gallen, der heil. Livin, der heil. Fridolin u. a.) in alle Teile Europas, überall entſtanden von iriſchen Mönchen beſetzte ſogen. Schottentlöſter; das Mutter: kloſter auf Jona oder Hy, einer der kleinern Hebri— den, war eine der berühmteſten und erfolgreichſten Kultusſtätten des frühern Mittelalters. Die ruhige Blüte, deren ſich J erfreute, ward zu Ende des 8. Jahrh. durch die Einfälle der heidniſchen Nor— mannen geſtört, die ſich hier auf der weſtlichen Inſel als Oſtmannen bezeichneten, von den Eingebornen aber Lochlain genannt wurden. Im J. 795 über— fielen ſie zuerſt eine an der nordöſtlichen Küſte Ir— lands gelegene kleine Inſel, landeten darauf 798 in Ulſter und wiederholten nun ihre Einfälle in immer kürzern Pauſen. Beſonders verhängnisvoll wurden ihre Angriffe 837, in welchem Jahr Dublin zuerſt eine Beute der Eroberer wurde, und 849, wo ſie die inzwiſchen wieder verlorne Hauptſtadt aufs neue be— ſetzten. Eine beſonders bedeutende Rolle in der Ge— ſchichte der Eroberung ſpielten um die Mitte des 9. Jahrh. die drei Brüder Analav (Olav), Ivar und Sitherik, welche zu Dublin, Limerick und Wa— terford herrſchten. Das Geſchlecht des Olav, welches zu Dublin herrſchte, galt als das vornehmſte, ſeine Nachkommen als die Oberkönige des normänniſchen J. Später gingen Dublin und das Oberkönigtum auf die Nachkommen Ivars über, mit deſſen Enkel Gott— fried (920-933) eine unausgeſetzte Reihe normän— niſcher Herrſcher beginnt, die zu Dublin reſidieren. Sie bekehrten ſich um die Mitte des 10. Jahrh. zum Chriſtentum, beharrten aber in ununterbrochenem Kampf mit den noch unbezwungenen Einwohnern des Landes. Der glänzendſte Heerführer der letztern
Irland (Geſchichte: Mittelalter).
war der tapfere Brian, Fürſt von Thomond, ſeit 976 König von Caſhel, der dis Normannen wieder: holt beſiegte, aber 1014 im Kampf gegen fie bei Clon— tarf fiel. Im J. 1102 erſchienen die Norweger unter Anführung ihres Königs Magnus und nahmen Dublin, Connaught und Ulſter. Magnus war der letzte norwegiſche König, welcher über die irländiſchen Dänen gebot; fortan hatten ſie weder ihre eignen Herrſcher. Die iriſche Kirche wurde auf der großen Kirchenverſammlung zu Drogheda 1152 dem Papſc unterworfen und das Erzbistum Armagh zum Pri- mat erhoben.
Irland unter engliſchen Königen aus dem Haus Plan-
tagenet.
Die Inſel zerfiel um dieſe Zeit in fünf König⸗ reiche: Leinſter, Munſter, Ulſter, Connaught und Meath. Über den Königen ſtand, wenigſtens in Kriegszeiten, ein Oberkönig. Die einzelnen Kö— nigreiche zerfielen in Stammgebiete, welche von teils erwählten, teils erblichen Häuptlingen regiert wur= den. Der Boden war Geſamteigentum des Stammes, und jeder neu hinzukommende männliche Nachkomme erhielt ſeinen Anteil an dem gemeinſamen Beſitz. Dieſes urſprüngliche Verhältnis der Einwohner zu dem Boden hat durch die Engländer eine völlige Veränderung erlitten. Zu der elben wurde der An— fang gemacht, als ſich die engliſchen Normannen in die iriſchen Händel miſchten. Der engliſche König Heinrich II. hatte mit Zuſtimmung des Papſtes Ha— drian IV., eines Engländers, bereits die Unterjochung Irlands beſchloſſen, als der Fürſt von Leinſter, Diarmait, welcher unter Beiſtand des Oberkönigs vertrieben worden war, 1168 zum König von Eng— land flüchtete und dieſen um Hilfe bat. Auf Hein— richs II. Veranlaſſung gingen 1169 die anglonor- männiſchen Barone Moritz Fitz-Gerald und Ro— bert Fitz-Stephen nach J. hinüber, ſetzten Diarmait wieder in ſeine Herrſchaft ein und erhielten von ihm hierfür die Stadt Werford. Diarmait verbündete ſich ſodann mit dem tapfern Richard Clare, Grafen Stri— gul, genannt Strongbow, zur Unterjochung von ganz J., und letzterer landete 1170 in J., nahm den Oſtmannen Dublin und Waterford und trat, als Diarmait zu Anfang 1171 ſtarb, in deſſen Erbe ein. Aber ſchon im Oktober d. J., als der Oberkönig Ro— derik O'Connor die Normannen in J. hart be— drängte, landete Heinrich II. ſelbſt mit einem ſtarken Heer in J. Eine Bulle des Papſtes vom Jahr 1156 hatte ihm die Inſel zugeſprochen, und der Klerus fiel ihm daher ſofort zu. Auch die Fürſten von Munſter und Leinſter unterwarfen ſich ihm ohne weiteres, während andre, vor allen Roderik O'Con— nor, tapfere Gegenwehr verſuchten. Nachdem ſich Heinrich II. in den Beſitz Dublins und des ganzen Küſtenſtrichs geſetzt hatte, hob er die alte iriſche Ver— faſſung auf, führte engliſches Recht ein und gab das eroberte Land ſeinen Baronen zu Lehen. 1172 ver: ließ er das Land wieder und übertrug Strongbow die Statthalterſchaft. Gleich dieſe erſten Anfänge der engliſchen Herrſchaft in J. haben zu dem Natıo- nalhaß der beiden Bevölkerungen den Grund gelegt: Heinrich und ſeine Ritter ſetzten ſich in den Beſitz der iriſchen Güter, ohne ihren neuen Unterthanen Ge—
rechtigkeit widerfahren zu laſſen. So konnte es an
Aufſtänden und Beſtrebungen, dem Druck der Frem— den zu entgehen, von vornherein nicht fehlen. O'Con— nor erhob ſich 1174 gegen die Engländer und erwirkte im folgenden Jahr einen vorteilhaften Frieden, worin er ſich zwar zur Tributzahlung verpflichtete, aber die Herrſchaft über den Norden der Inſel behauptete, ſo
Irland Geſchichte: neuere Zeit). 11
daß die Engländer zunächſt nur die ſüdöſtlichen Küz kaniſchen Geiſtlichkeit und der eingewanderten Eng: ſtenſtriche als ihr Beſitztum anſehen konnten. Seit länder ſcheiterten ſeine Pläne zu einer durchgreifen— dieſer Zeit zerfällt die Geſchichte von J. in zwei den Reform der iriſchen Zuſtände. Da die Irländer voneinander verſchiedene Teile: die des unabhängig vom öffentlichen Leben in ihrer Heimat gänzlich aus⸗ gebliebenen und die des den Engländern unterwor- geſchloſſen waren, nahmen viele Jünglinge in Spa- fenen J. Jene bewegt ſich in zahlloſen Fehden der nien und Frankreich Kriegsdienſte. Dieſen Umſtand kleinen Fürſten und Stammeshäuptlinge teils unter- machte ſich der von der engliſchen Königin zum einander, teils mit den Engländern an der Grenze; Grafen von Tyrone erhobene Häuptling Hugh dieſe hat keine ſelbſtändige Entwickelung, ſondern iſt O'Niell zu nutze, indem er es 1598 mit Hilfe der durchaus von der der engliſchen Geſchicke abhängig, aus dem Ausland zurückgekehrten Krieger unter— iſt lediglich die Geſchichte einer Kolonie. An der nahm, J. von dem fremden Joch zu befreien. Um: Spitze dieſer Kolonie ſtand ein königlicher Juſtitia- ſonſt rückte im Frühjahr 1599 der Graf von Eifer, rius oder Statthalter (King's Lieutenant), der zu Günſtling der Königin, mit einem ſtarken Heer gegen Dublin reſidierte. Gegen das Ende des 13. Jahrh. ihn heran; er ſah ſich genötigt, mit O'Niell einen finden ſich in dieſem Teil Irlands Grafſchaften nach Waffenſtillſtand zu ſchließen, und kehrte nach Eng— engliſchem Muſter, und ſeit dem Jahr 1253 läßt ſich land zurück. Glücklicher war ſein Nachfolger Lord auch ein eignes iriſches Parlament nachweiſen, Mountjoy, der die von den Spaniern unter Aquila zu welchem anfangs die weltlichen und geiſtlichen unterſtützte Heeresmacht O'Niells 24. Dez. 1601 vor Lehnsleute des Königs, ſpäter auch Abgeordnete der Kinſale vollſtändig aufs Haupt ſchlug. Darauf ver— Städte berufen wurden. Zu Anfang des 14. Jahrh. ließen die Spanier 1602 J. wieder, und Tyrone mußte machten die noch unabhängigen Iren den Verſuch, ſich ergeben. Bei dem Tod Eliſabeths 1603 ſtand die engliſchen Eroberer zu vertreiben, indem ſie dem ganz J. unter engliſcher Botmäßigkeit. Doch hatte Heldenkönig Schottlands, Robert Bruce, die Krone die Unterdrückung der Aufſtände einer Menge Ur: von J. anboten. Dieſer ſandte ſeinen Bruder Eduard einwohner das Leben gekoſtet und zur Konfiskation 1315 mit bewaffneter Macht nach J.; allein derſelbe von mehr als 600,000 Morgen Landes zu gunſten fiel in einem entſcheidenden Kampf bei Dundalk engliſcher Koloniſten erwünſchten Vorwand gegeben. gegen die Engländer, und Robert Bruce ſelbſt, der König Jakob J. beabſichtigte, in J. durchgreifende wenige Tage ſpäter in J. landete, kehrte gleichfalls Reformen einzuführen, und begann damit, daß er unverrichteter Sache nach Schottland heim. Während die Macht der iriſchen Häuptlinge zu brechen ſuchte, der Bürgerkriege in England, insbeſondere während indem er ihnen alle Beſitzungen, für die ſie den des Kriegs der beiden Roſen, ſank die Macht der Lehnsbrief nicht vorweiſen konnten, abnahm. Auf Engländer in J. ſehr; um die Inſel wieder zu unter- dieſe Weiſe gelangte Jakob I. in den Beſitz von werfen, ſandte Heinrich VII. den Statthalter Sir 800,000 Morgen Landes, die größtenteils an eng— Edward Poynings dorthin. Dieſer gab 1494 in der liſche Spekulanten und an Schotten verkauft wurden, nach ihm benannten Poynings-Akte der Verfaſſung welche die Stadt Londonderry und eine Menge an— eine veränderte Geſtalt, welche drei Jahrhunderte derer Kolonien gründeten. Der religiöſe Zwieſpalt beſtanden hat. Demnach war es dem iriſchen Statt: zwiſchen den katholiſchen Iren und den proteſtanti— halter nur erlaubt, mit Genehmigung des Königs ein ſchen Engländern wurde durch dieſe Gewaltthätig— Parlament zu verſammeln, während der engliſchen keiten nur noch mehr verſchärft, und unter Jakobs Regierung die Geſetzvorſchläge vorher zur Beſtäti- Nachfolger Karl J. verſuchten die bis 1641 von Lord,
gung vorgelegt werden mußten. Strafford (ſ. d.) mit ſtrengſter Härte regierten Ir⸗ Irland unter den Tudors und Stuarts bis zur Nevo- länder noch einmal, während der zwiſchen England lution von 1649. und Schottland entſtandenen Wirren, das engliſche
Heinrich VIII. ſuchte ſeine in England einge- Joch abzuwerfen. An der Spitze des Aufſtandes führte Kirchenreform auch nach J. zu verpflanzen. ſtanden Roger Moore, Sir Phelim O'Neal uns Allein hier traf er nicht bloß bei den Eingebornen, Lord Cornelius Maeguire, Enkel alter Stammes— ſondern auch bei den in J. eingewanderten Englän- häuptlinge; er begann im Oktober 1641 in der Pro: dern auf entſchiedenen Widerſtand. Selbſt innerhalb vinz Ulſter, wo es eine große Maſſe Heimatloſer gab. der unmittelbar engliſchen Teile der Inſel kamen Der Klerus wußte der Revolution auch ein religiöſes daher die Maßregeln des Königs nicht zur vollſtän- Intereſſe beizumiſchen; binnen wenigen Tagen wur: digen Durchführung; zu dem ſchon bisher ſo ſtarken den nach einigen 5000, nach andern ſogar gegen nationalen Gegenſatz zwiſchen den keltiſchen Iren 20,000 proteſtantiſche Engländer ermordet, und eine und den anglonormänniſchen Engländern, zu dem noch größere Zahl fand ihren Untergang auf der Haß zwiſchen Eroberern und Eroberten geſellte ſich Flucht. In England argwöhnte man, daß dieſe fortan noch die religiöſe Feindſchaft zwiſchen Katho- Hinſchlachtung ſo vieler Männer, die der republika— liken und Anglikanern. Daß ſich Heinrich VIII. 1542 niſchen Partei angehörten, nicht ohne Wiſſen des von dem engliſchen und iriſchen Parlament ſtatt des Königs geſchehen ſei, und dieſer Umſtand trug in der bisherigen Titels eines ⸗Herrns den eines Königs Folge viel zum Sieg der engliſchen Revolution bei. von J. verleihen ließ, vermochte das Mißtrauen nicht Das engliſche Parlament konfiszierte zwar 2½ Mill. zu überwinden, und ſeiner Tochter Maria ward es Morgen iriſches Land, um mit dem Erlös desſelben leicht, die geringen Anfänge der Reformation in J. die Bewegung zu dämpfen, und erklärte 8. Dez. 1641, wieder auszutilgen. Der Königin Eliſabeth Plan, daß es kein Papſttum in J.oderandern Teilen des Reichs das Vermögen der katholiſchen Kirche zu gunſten der dulden wolle; aber die innern Zerwürfniſſe zwiſchen proteſtantiſchen Geiſtlichkeit einzuziehen, rief ſeit ihm und dem König hinderten zunächſt eine energiſche 1560 eine Menge Aufſtände hervor, welche durch Bekämpfung des Aufſtandes. Um die Sache Karls den Papſt, durch flüchtige Engländer und durch den in J. ſoviel wie möglich aufrecht zu erhalten, knüpfte ſpaniſchen Hof geſchürt wurden. Vergebens verſuchte der königliche Statthalter, Marquis von Ormond, der treffliche Statthalter, Sir John Perrot (ſeit mit den Rebellen Verhandlungen an, an denen auch 1584), die katholiſchen Iren durch Leutſeligkeit und der päpſtliche Nunzius Anteil nahm, die aber erſt Milde zu gewinnen; an dem Widerſtand der angli- nach langen Wechſelfällen zum Abſchluß eines Frie⸗
12 Irland (Geſchichte: 17. und 18. Jahrhundert.
dens führten, der 29. Jan. 1649, alſo erſt am Tag vor der Hinrichtung Karls I. „publiziert wurde. Nach dieſem Ereignis, das in J. allgemeinen Unwillen hervorrief, betrieb D unter den katholiſchen Irländern die Anerkennung des Prinzen von Wales, Karls II., als König. Deshalb landete 15. Aug. 1649 der vom engliſchen Parlament zum Lord-Lieutenant ernannte Cromwell mit einem Heer von über 12,000 Mann an der iriſchen Küſte und nahm ſchnell nacheinander Drogheda und Wexford mit Sturm. Da hier die ganze zahlreiche Beſatzung von den Sie— gern niedergemacht wurde und das von wildem Fa— natismus beſeelte Heer Cromwells überhaupt mit äußerſter Wut und Grauſamkeit gegen die Aufſtän— digen verfuhr, ſo verbreitete ſich bald allgemeiner Schrecken in J.; viele der Inſurgenten gaben die von ihnen beſetzten feſten Plätze ohne Schwertſtreich auf und flüchteten ſich in die Moräſte. So ward binnen drei Vierteljahren der größte Teil der Inſel von den Republikanern eingenommen. Cromwell verließ hier— auf J., ſeinem Schwiegerſohn Ireton die fernere Be— feſtigung der republikaniſchen Herrſchaft überlaſſend. Dieſer ging ebenſo radikal zu Werke wie Cromwell, und 26. Sept. 1652 konnte das engliſche Parlament die iriſche Rebellion für beendet erklären. Aber in den elf Jahren ihrer Dauer war mehr als eine halbe Million Menſchen durch das Schwert, Krankheiten oder Hunger umgekommen. Nun wurde noch blutige Nachleſe gehalten, zahlreiche Hinrichtungen, darunter auch die O'Neals, fanden ſtatt, an hunderttauſend Iren wurden verbannt oder wanderten freiwillig nach Amerika oder in europäiſche katholiſche Staaten
aus; alle, welche am Aufſtand mit bewaffneter Hand
teilgenommen, wurden mit Konfiskation von zwei Dritteln ihrer Güter beſtraft, aber ſogar diejenigen, welche denſelben nur nicht bekämpft hatten, verloren ein Drittel ihrere Beſitzungen: 2000 Kinder ſollen als Sklaven nach Jamaica verkauft worden ſein. Was von Katholiken in J. verblieb, wurde größten⸗ teils in die Provinzen Connaught und Clare verwie— ſen. Das ihnen entriſſene Land wurde unter die Krie— ger des Parlaments und Abenteurer aller Art verteilt. So ſollte die härteſte und drückendſte Herrſchaft die Inſel im Zaum halten, aber in der unterdrückten Be— völkerung glimmte das unauslöſchliche Feuer des glühendſten Haſſes gegen ihre Beſieger fort.
Irland von der Revolution bis zur Union mit England
(1649 1800).
Nach der Wiederherſtellung der Königsherrſchaft in England geſtaltete ſich die Lage der Irländer nicht viel günſtiger. Denn wenn auch unter Karl II. für J u größere Toleranz in religiöſer Hinſicht obwaltete, ſo konnten doch nur wenige iriſche Katholiken wieder zu ihren Gütern gelangen, die ſich in den Händen der Proteſtanten befanden. Daher war den Irlän— dern die katholiſche Reaktion, die mit der Regierung Jakobs II. eintrat und 1687 zur Ernennung eines Katholiken, Richard Talbot, Grafen von Tyrcon— nell, zum Statthalter von J. führte, äußerſt will—
kommen. Als nach der;? Vertreibung Jakobs ein fran: |
zöſiſches Heer von 5000 Mann in J. landete, ward es von den Katholiken mit offenen Armen aufge⸗ nommen. In kurzer Zeit konnte Jakob mit 38,009 Mann den engliſchen Truppen entgegentreten und ihnen einen feſten Platz nach dem andern wegnehmen. Nur Londonderry und Enniskillen blieben in der Ge— 2 der Engländer, ein iriſches Parlament ward
Mai 1689 von Jakob eröffnet, ungefähr 2400 Frsteſe e Grundbeſttzer verloren ihre Güter an Katholiken, und eine neue Ara der Freiheit und
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Selbſtändigkeit ſchien für das lange unterdrückte Land zu beginnen. Doch diejelbe war nicht von langer Dauer. Wilhelm III. von Oranien, der neue König von England, ſandte ſchon 1689 ein Heer unter Marſchall Schomberg nach J landete dann 14. Juni 1690 ſelbſt auf der Insel, und die Siege am Bone 1. Juli 1690 und bei Aghrim 12. Juli 1691, deren erſten der König ſelbſt, deren zweiten General Ginkel über die J Iren davontrug, vollendeten die n des Landes. Der letzte feſte Platz der Katholiken, Limerick, kapitulierte 1. Okt. 1691, wobei den Irländern freie Religionsübung, wie ſie unter Karl II. beſtanden, zugeſagt wurde. Mehr als 18,000 Iren von der Partei Jakobs gingen ins Aus— land. Ein Beſchluß des engliſchen Parlaments ver— fügte wieder eine Konfiskation von 1 Mill. Morgen iriſchen Landes, das an Proteſtanten verteilt wurde, und die von den letztern in den Städten gegründeten ſogen. Orangiſtengeſellſchaften (Orangemen), welche dem neuen Königshaus als Stütze dienen ſoll— ten, bedrückten die Katholiken auf jede erdenkliche Weiſe. Es wurden beſondere Strafgeſetze (penal laws) gegen den Katholizismus erlaſſen; dieſelben verfügten unter anderm die Verbannung der höhern katholiſchen Würdenträger, die Beſchränkung der niedern Prieſter auf ihre Bezirke, das Verbot des katholiſchen Unterrichts und der öffentlichen Zeichen des Kultus, die Ausſchließung der Katholiken von öffentlichen Amtern, das Verbot gemiſchter Ehen zwiſchen Proteſtanten und Katholiken, die Entwaff— nung aller katholiſchen Einwohner; ja, man erließ ſogar Vorſchriften, welche die Katholiken des Rechts beraubten, ihre Kinder im Land oder auswärts zu erziehen: alles dies unter ſchnödeſter Mißachtung der Kapitulation von Limerick. Zwar wurden dieſe Geſetze nicht von allen engliſchen Beamten mit Strenge gehandhabt; allein ſchon ihr Beſtehen reichte hin, die bereits vorhandene Erbitterung zu ſteigern. Die Irländer hatten ſeit 1695 in ihrem Parlament die Zurücknahme der Poynings-Akte und damit ihre legislative Selbſtändigkeit gefordert. Allein durch einen Beſchluß des britiſchen Parlaments von 1719 unter Georg I. wurde nicht nur jene Akte beſtätigt, ſondern auch 1727 den Katholiken bei Parlaments- wahlen das Stimmrecht ganz entzogen. Das unter: drückte iriſche Volk, dem es an jedem Organ fehlte,
ſeinen berechtigten Klagen Gehör zu verſchaffen,
ſuchte ſich nun auf andre Weiſe Luft zu machen. Es entſtanden die Verbindungen der Defenders (ſ. d.), welche ſich über die ganze Inſel verbreiteten und Lynchjuſtiz übten. Auch die White Boys Cweißen Burſchen ) tauchten ſchon um 1760 auf, jo genannt von den Hemden, welche ſie über ihre ſonſtigen Klei— der zogen, wenn ſie ſich des Nachts zur Beſtrafung übermütiger Beamten, Grundherren oder Pfarrer zuſammenfanden. Eine andre ähnliche Verbindung waren die Hearts of oak (»Eichenherzen«), welche 1763 entſtanden, als das Volk durch Straßenbau— fronen bedrückt wurde.
Die Kunde von den Freiheitskämpfen in Amerika rief auch im iriſchen Volk Bewegungen hervor und nötigte den Engländern einige Zugeſtändniſſe ab, namentlich wurden die unmenſchlichen Strafgeſetze in einigen Punkten gemildert. Da Frankreich einen Einfall in J. zu machen drohte und das Land nur von wenigen Truppen beſetzt war, ſo gebrauchten die Irländer dieſen Umſtand als Vorwand, ein Heer von iriſchen Freiwilligen zu bilden. Schon nach zwei Jahren war dasſelbe auf 50,000 Mann an— gewachſen, und es wurden nun mit den Waffen in
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Irland GGeſchichte bis 1833).
der Hand Sturmpetitionen unternommen. Die Re⸗ gierung ſah mit Schrecken diesmal ſogar Proteſtanten ſich den Katholiken anſchließen: im iriſchen Parla— ment vertraten Männer wie Henry Grattan (ſ. d.), Lord Charlemont u. a. mit Entſchiedenheit die Rechte Irlands. Man verlangte die Aufhebung der Straf— geſetze, die Selbſtändigkeit des iriſchen Parlaments, eine völlige Reform des verrotteten Wahlgeſetzes und gänzliche Befreiung des iriſchen Handels. Nun end— lich wurde vom Parlament, da ein allgemeiner Auf— ſtand drohte, die Poynings-Akte 1782 aufgehoben; die Strafgeſetze wurden nochmals gemildert, und die Katholiken erhielten die Erlaubnis, Schulen zu er— richten, Grundeigentum zu erwerben und ihren Kul— tus ungehindert auszuüben. Die Laſt des Zehnten, den die Katholiken an die proteſtantiſchen Pfarrer entrichten mußten, rief 1786 den geheimen Verein der Right Boys ( Rechtsburſchen-) hervor, welche den Katholiken Eide auferlegten, den Zehnten nicht zu bezahlen, und alle Wortbrüchigen züchtigten. Mkt dem größten Enthuſiasmus wurde die erſte franzöſiſche Revolution in J. begrüßt. Im Novem- ber 1791 bildete ſich zu Dublin der Bund der ver— einigten Irländer (United Irishmen), welcher, die Pariſer Jakobiner nachahmend, die Verwand— lung Irlands in eine unabhängige Republik erſtrebte, indem er mit dem franzöſiſchen Konvent in geheimes Einverſtändnis trat. Dem gegenüber entſchloß ſich das britiſche Parlament, vorzugsweiſe infolge der Thätigkeit Edmund Burkes, der unermüdlich in die⸗ ſem Sinn wirkte, zu einigen wichtigen Zugeſtänd— niſſen, indem es die geſetzlichen Hinderniſſe der Ge— werbthätigkeit und des Handels ſowie die meiſten der berüchtigten Strafgeſetze aufhob und den Katho— liken das Recht der Sachwalterſchaft vor Gericht und das Eingehen von Ehen mit Proteſtanten zugeſtand. 1793 fiel auch das Geſetz, welches die Katholiken zum Beſuch der proteſtantiſchen Kirchen zwang; gleich⸗ zeitig erhielten ſie die Zulaſſung zu Amtern niedern Ranges und das aktive Wahlrecht zum Parlament, aber noch nicht das Recht, gewählt zu werden. Wei: tere Forderungen des Bundes blieben unerfüllt, und als derſelbe hierauf eine drohendere Stellung ein— nahm, ſchritt die Regierung zu Gewaltmaßregeln. Sie legte in die Städte Beſatzungen, hob die Habeas— korpusakte (ſeit 1782 in J. eingeführt) wieder auf und verhängte über den Bund, der ſich ganz militä— riſch organiſiert hatte und 1796 an 100,000 Mit: glieder zählte, Entwaffnung und Auflöſung. Endlich im Dezember 1796 erſchien die von letzterm erwar— tete franzöſiſche Hilfe. General Hoche landete mit 20,000 Mann, mußte aber unverrichteter Sache wie— der umkehren. Das Parlament ließ hierauf das Standrecht auf der ganzen Inſel verkünden. Die Irländer erneuerten daher 1797 ihren geheimen Bund, der bereits mehr als 500,000 Verſchworne zählte, als ein Verräter, Th. Raynolds, die Exiſtenz desſelben Anfang 1798 der Regierung denunzierte. Nichtsdeſtoweniger entbrannte der Aufruhr 23. Mai 1798; doch konnte er ſich nicht gehörig entwickeln, da eine ſtarke Militärmacht ſein Aufkommen verhinderte. Schrecklich wurde nun von den bewaffneten Kolonnen, welche die ganze Inſel durchſtreiften, gegen die Iren gewütet: gegen 30,000 Menſchen fielen als Opfer. Zwar erfolgten von Frankreich aus noch einige be— waffnete Expeditionen zu gunſten Irlands, die eine im Auguſt unter Savary, welcher etwa 1000 Mann unter dem General Humbert in der Killalabai an die
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jedoch ohne Erfolg, je letztere Flotte wurde vom Admiral Warren beinahe ganz weggenommen. Um nun die Revolutionsgelüſte in J. einigermaßen nie: derzuhalten, verſuchte die Regierung eine Verſchmel— zung des iriſchen Parlaments mit dem britiſchen, ein Plan, den Pitt und Caſtlereagh nur durch unerhörte Beſtechung durchzuführen vermochten, da die Iren die Vereinigung mit Entrüſtung von ſich wieſen. So trat 1. Jan. 1801 die ſogen. Finalunion zwiſchen J. und Großbritannien in Kraft, wonach J. fortan von 28 gewählten weltlichen Peers und 4 Biſchöfen im Oberhaus und von 100 Deputierten der Graf: ſchaften, Städte und Flecken im Unterhaus vertreten werden ſollte. Gegen die Verpflichtung, für die erſten 20 Jahre 7/8 der geſamten Staatslaſten zu tragen, ſollte J. im übrigen gleiche Rechte mit Großbritan— nien genießen und zwiſchen beiden ungehinderter Ber: kehr ſtattfinden. 1801 trat das vereinigte Parlament
ins Leben; die Geſchichte von J. bildet von nun an einen Teil der großbritanniſchen, auf deren Darſtel⸗
lung zu verweiſen iſt, indem hier nur eine kurze Skizze der insbeſondere J. betreffenden Ereigniſſe gegeben werden ſoll.
O'Connell und die Repealagitation.
Die von Pitt verheißene völlige politiſche Eman— zipation der Katholiken ſcheiterte an Georgs III. Bigotterie, und die ſchon ausgearbeitete Akte kam nicht zur Beratung. Dies rief 1802 zu Dublin einen neuen Bund der Katholiken (Catholic Association) hervor. Ihm gegenüber traten auch die alten pro— teſtantiſchen Orangelogen alsbald wieder ins Leben, und ſo begannen die Reibungen zwiſchen beiden Par— teien von neuem. 1825 löſte die Regierung zwar beide Vereine auf, doch ſetzte die katholiſche Aſſocia— tion, von O'Connell (ſ. d.) neugeſtaltet, ihre Thä⸗ tigkeit fort und organiſierte ſich in allen Grafſchaften, vornehmlich auf die Wahlen, die von den kleinen Landwirten entſchieden wurden, ihren Einfluß aus: übend. Die Regierung ſah ſich daher endlich genö— tigt, die Frage der Emanzipation vor das Parla— ment zu bringen, und wirklich ward dieſelbe trotz hef— tiger Gegenbeſtrebungen beſchloſſen und 13. April 1829 von Georg IV. genehmigt. O'Connell, der nun ins Parlament eintreten konnte, agitierte dort zu— nächſt für Abſchaffung des Zehnten, welchen die ka— tholiſche Bevölkerung an die proteſtantiſchen Kirchen entrichten mußte. Als endlich Lord Stanley, der Staatsſekretär für J., 1832 mit dem verheißenen Ge: ſetz hervortrat, wonach die zwangsweiſe Ablöſung des Zehnten erfolgen ſollte, nahmen beide Häuſer die Bill zwar an, allein die iriſchen Katholiken verwar— fen dieſe Maßregel, da ſie keine weſentliche Erleich— terung biete. Als nun O'Connell als Ziel feiner Bes ſtrebungen den Widerruf der Union zwiſchen J. und Großbritannien offen proklamierte, brachte er damit eine gewaltige Bewegung hervor: die Aufhebung der Union wurde die Loſung der von O'Connell geſtifte— ten Repeal Associstion, die bald der Mittelpunkt der irischen Oppoſition ward. Trotz aller Bemühun— gen vermochte O'Connell nicht, die Menge auf der geſetzlichen Bahn zu erhalten. Daher ſetzte 1833 das Miniſterium Grey die fogen. irische Zwangsbill (Irish Coercion-Bill) trotz heftigen Widerſpruchs durch, die dem Lord-Statthalter von J. die Befugnis ein: räumte, Volksverſammlungen zu verbieten und das Kriegsrecht zu proklamieren. Ein Heer von 36,000 Mann und 6000 bewaffnete Polizeidiener, die man nach J. ſendete, mußten der Akte Nachdruck geben.
iriſche Küſte ſetzte, die andre im Oktober mit I Schif- Um aber die allgemeine Erbitterung einigermaßen fen und etwa 3200 Mann; beide Expeditionen waren zu beſänftigen, gewährte das Miniſterium die iriſche
14 Irland GGeſchichte bis 1848).
Kirchenbill, nach welcher in J. die Kirchenbauſteuer aufgehoben, die Einkünfte der Pfründen herabgeſetzt und ein Teil der außer allem Verhältnis zur Zahl der iriſchen Proteſtanten ſtehenden anglikaniſchen Pfarreien und Bistümer abgeſchafft werden ſollten. Nach Annahme dieſer Akte trat Lord Littleton, der an Stanleys Stelle Staatsſekretär für J. geworden, mit einer neuen Zehntenbill auf, welche ſtatt der Zehn— ten eine Grundſteuer, die jedoch nur drei Fünftel des frühern Zehnten betrug, in Vorſchlag brachte, aber von den Lords Il. Aug. 1834 verworfen ward, nach— dem ſie im Unterhaus durchgegangen war. Die Lords ſahen nämlich in der der Bill beigefügten Klau— ſel (Appropriationsklauſel), wonach die durch die Kirchenbill gewonnenen Überſchüſſe des Kirchenver— mögens zur Verbeſſerung des iriſchen Schul- und Ge— meindeweſens verwendet werden ſollten, einen Raub an der proteſtantiſchen Kirche. Das Miniſterium Melbourne (jeit Juli 1834) nahm die Zwangsbill zu: rück und ſchlug überhaupt gegen J. die verſöhnlichſte Politik ein. O'Connell löſte daher auch ſeinerſeits die Repealaſſociation auf. Die plötzliche Entlaſſung des Miniſteriums (November 1834) erregte aber neuen Sturm, welchen das neue Torykabinett unter Peel dadurch niederzuhalten ſuchte, daß es 1835 eine von der vorigen wenig verſchiedene Zehntenbill einbrachte. Als aber das Unterhaus auf den Vorſchlag Lord Ruſſells die Appropriationsklauſel abermals in das Geſetz einrückte, traten die Tories ſchon 8. April zu— rück, und Melbourne übernahm wieder die Leitung der Geſchäfte. Seit im Mai 1835 der Graf Nul: grave zum Statthalter von J. ernannt worden, ſchlu— gen die iriſchen Angelegenheiten die Bahn friedliche— rer Entwickelung ein. Mulgrave beſetzte manche Amter mit Katholiken, führte eine unparteiiſche Ge: rechtigkeitspflege ein, verbeſſerte die Verwaltung und ſteuerte dem Übermut der Orangiſtenverbindungen, die 1836 geſetzlich verboten wurden. Im Parlament dauerte inzwiſchen der Kampf um das Zehntengeſetz fort; zweimal ſcheiterte dasſelbe im Oberhaus an der Appropriationsklauſel, und erſt nachdem man die— ſelbe 1838 hatte fallen laſſen, ward die Bill ange— nommen. Zur Linderung des unſäglichen Elends im Volk ſetzten die Miniſter noch 1838 eine iriſche Ar— menbill durch, nach welcher in den Grafſchaften Ar— beits- und Armenhäuſer für 70—80,000 Dürftige er: baut werden ſollten. Aber auch dieſe Maßregel konnte eine Nation nicht zufriedenſtellen, die ſtatt Almoſen eine billige Ausgleichung unnatürlicher, auf gewalt— ſame Konfiskation gegründeter Beſitzverhältniſſe er— wartete. Als im Auguſt 1841 die Tories unter Peel wieder ans Ruder kamen, reorganiſierte O'Connell die Repealaſſociation, die um ſo mehr Anhänger fand, als ſich jetzt auch der katholiſche Klerus für die iriſche Sache entſchieden hatte. In den erſten Monaten 1843 geriet die ganze Inſel in Bewegung; überall wurden Maſſenmeetings abgehalten, vielfach kam es zwiſchen Katholiken und Proteſtanten zum Handge— menge, und Hunderte von Landleuten verweigerten ihren Grundherren den Pachtzins. Daher wurde im Auguſt die Bill erneuert, welche den Irländern das Tragen von Waffen verbot, eine bedeutende Trup— penmacht nach J. geſendet und im Oktober die zu Clontarf ſchon eröffnete große Repealverſammlung verboten. Ein gleich darauf gegen O'Connell einge— leiteter Prozeß endete zwar, da das verurteilende Erkenntnis der Geſchwornen im Oberhaus wegen Formfehler kaſſiert wurde, mit ſeiner Freiſprechung, allein die eigentliche Gefahr der Repealbewegung war doch damit vorüber. Als aber im Spätherbſt
1846 infolge des gänzlichen Mißratens der Kartoffel: ernte in J. ein entſetzlicher Notſtand ausbrach, wurde die öffentliche Ordnung wieder vielfach gefährdet: Hungeremeuten und Plünderungen waren an der Tagesordnung. Im Januar 1847 brachte daher Lord John Ruſſell eine Reihe tief eingreifender Vorſchläge vor das Parlament. Außer der Bildung von Hilfs— ausſchüſſen und der Bewilligung von Staatsgeldern zum Ankauf von Lebensmitteln ward darin bean: tragt, daß die von der Regierung den Grundbeſitzern vorgeſchoſſenen Gelder zur Hälfte erlaſſen und den— ſelben ſogar neue beträchtliche Summen zum Ankauf von Saatkorn und zur Urbarmachung der noch wüſt liegenden 4,600,000 Aeres dargeliehen werden joll: ten. Dieſe Vorſchläge erhielten im allgemeinen die Zuſtimmung des Parlaments, desgleichen der An— trag der Regierung, 620,000 Pfd. Sterl. zum Bau dreier iriſcher Eiſenbahnlinien zu verwenden. Das junge Irlande.
Mit O'Connells Tod (15. Mai 1847) erloſch die Re⸗ pealagitation; aber als im Sommer 1847 infolge der reichen Ernte und gründlicher Hilfsmaßregeln der Not— ſtand wich, erwachte die politiſch-kirchliche Bewegung mit neuer Stärke. Schon bei den allgemeinen Wah— len im Juli 1847 trat eine ungemeine Parteileiden— ſchaft hervor. Da die materielle Not die geſetzlichen Bande gelockert hatte und ſich anarchiſche Ausbrüche, Gewaltthätigkeiten, Mordthaten in erſchreckendem Maß häuften, legte die Regierung Ende November dem Parlament eine Bill zur Vermehrung der Po⸗ lizeimacht, zur Suſpenſion der ordentlichen Geſetze und zum Verbot des Waffenbeſitzes vor, worauf der Lord-Statthalter 23. Dez. über eine Anzahl Graf—
ſchaften das Ausnahmegeſetz verhängte. Die fran-
zöſiſche Revolution von 1848 konnte die Aufregung nur ſteigern, und eine gewaltſame Kataſtrophe ſchien unvermeidlich. Die revolutionäre Partei des »jun— gen Irland war nicht geneigt, die friedliche Ne: pealbewegung O'Connells fortzuſetzen, ſondern be: zweckte eine gewaltſame Losreißung der Inſel von England. Ihre Führer Smith O'Brien, Mitchell, Duffy, Meagher ꝛc. knüpften Einverſtändniſſe mit den franzöſiſchen Republikanern an, während die Maſſen unverhohlen Rüſtungen und Waffenübungen vornah: men. Die O'Connellſche Partei (moral force party, im Gegenſatz zur jungiriſchen, physical force party) verlor täglich mehr Boden. Inzwiſchen hatte die bri— tiſche Regierung dieſen Bewegungen gegenüber eine »Bill zum Schutz der Krone eingebracht. Die Folge davon war das Verbot eines Nationalkonvents von 300 Abgeordneten, den Smith O'Brien nach Dublin einberufen hatte, ſowie die Unterdrückung einer im Entſtehen begriffenen Nationalgarde (Anfang Mai). Zugleich wurden Smith O'Brien und Meagher als Volksaufwiegler vor Gericht geſtellt, aber die Jury konnte zu keinem Verdikt kommen; John Mitchell da⸗ gegen, deſſen United Irishmens offene Empörung gegen die britiſche Herrſchaft predigten, ward zu 14: jähriger Deportation verurteilt. Gleichwohl verbrei— teten ſich revolutionäre Klubs und Vereine zu Waf— fenübungen über die ganze Inſel. Ein Teil der Re— pealer ſchloß ſich an die Jungirländer an und bil— dete nach Beſeitigung des jüngern O'Connell die Irish League. Die Regierung verſetzte Meagher aber: mals in Anklageſtand, ſtellte (18. Juli 1848) Dublin, die Grafſchaft Waterford, Cork und Drogheda unter das Kriegsgeſetz und ſuſpendierte die Habeaskorpusakte. Nachdem eine Truppenverſtärkung unter Viscount Hardinge in Bereitſchaft geſtellt war, erließ der Lord— Statthalter den Verhaftsbefehl gegen O'Brien und
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Irland (Geſchichte bis 1867),
unterdrückte die revolutionären Blätter. Die Füh⸗ rer flüchteten, und die Klubs löſten ſich zum Teil auf; Smith O'Brien aber, von den Maſſen als König von Munſter begrüßt, ſammelte bewaffnete Haufen, die jedoch bei Ballingarry von der Polizei auseinander geſprengt wurden. O'Brien, Meagher u. a. wurden ergriffen, vor Gericht geſtellt und zum Tod ver— urteilt, doch zur Deportation begnadigt. Bei Eintritt des Winters kehrte auch der Notſtand wieder; daher erfolgte abermalige Suſpendierung der Habeaskor— pusakte und Einbringung einer Bill, wonach zur Unterſtützung der Armen das Grundeigentum mit einer Einkommenſteuer von 2½ Proz. belegt ward. Trotzdem wiederholten ſich die Notſtände von 1846 bis 1847, und überdies dezimierte die Cholera die Bevölkerung. Über 200,000 Menſchen wanderten aus. Zur Unterſtützung der Armenhäuſer wurden im April 1850 wieder 300,0 Pfd. Sterl. bewilligt; auch dehnte man das aktive Wahlrecht auf die Pachter aus, die eine Pacht von 12 Pfd. Sterl. zahlten. Obwohl ſich allmählich die materielle Frage wieder günſtiger ge— ſtaltete, ſo machte ſich doch die Nachwirkung der durch die Not veranlaßten ſittlichen Verwilderung noch ge— raume Zeit in Gewaltthaten bemerklich. Dazu rief der Verſuch des römiſchen Stuhls, in Großbritannien wieder die römiſch⸗katholiſche Hierarchie herzuſtellen, ed hervor. Der Erzbiſchof-Primas Kuen und der Biſchof M'Hale fachten den konfeſſio— ellen Hader an, und während die Repealaſſociation allmählich verſtummte, zeigte ſich die Oppoſition auf dem kirchlichen Gebiet um ſo regſamer. Die Bewegung der Fenier und die erſten Reformgeſetze Gladſtones.
Der religiöſe Gegenſatz aber weckte auch wieder den nationalen, und namentlich war es die Bewegung der Fenier, welche aufs neue zeigte, daß J. noch keines— wegs in den Organismus des britiſchen Reichs völlig eingefügt war, und daß der auf Stammes: und Ne: ligionsverſchiedenheit beruhende Gegenſatz zwiſchen England und der Nachbarinſel ſich lebendig erhalten hatte. Der Name der Fenier iſt den oben charakte— riſierten durchaus ſagenhaften Anfängen der iriſchen Geſchichte entlehnt worden. Einer der berühmteſten Helden der altiriſchen Bardengeſchichte war Fionu oder Finn, welcher am Ende des 3. Jahrh. unſrer Zeitrechnung große Heldenthaten verrichtet haben ſoll und in den iriſchen Volksliedern hoch geprieſen wird. Sein Ruhm ward ſo groß, daß die Krieger Ir— lands in ſpäterer Zeit ſich gern Finna (oder Fianna), d. h. Finns Männer, nennen hörten. Die Finna wurden im Engliſchen »Fenians«. Die Fenier ſind alſo ein Bund bewaffneter Männer. Der Zweck die⸗ ſer Verbindung war die vollſtändige Losreißung Ir⸗ lands von England mittels einer revolutionären Erhebung. Dieſelbe ward jedoch nicht in J. ſelbſt,
ſondern in Amerika, wo Hunderttauſende von Iren vor der verhaßten engliſchen Herrſchaft und ihren
Bedrückungen Zuflucht gefunden hatten, begründet. Der Bund ward zunächſt dadurch veranlaßt, daß wäh: rend des amerikaniſchen Sezeſſionskriegs die Irlän⸗ der in Maſſe für die Union unter die Waffen traten. Die Haltung Englands aber neigte den Südſtaaten zu, ſo daß auch hier wieder J. und England in feind—
lichem Gegenſatz zu einander erſchienen. Außerdem
aber war dadurch die Möglichkeit eines Konflikts zwi— ſchen England und den Vereinigten Staaten nahe— gerückt, die Ausſichten für die iriſche Agitationspartei erſchienen demnach ſo günſtig wie möglich. So ſchritt man zu einer förmlichen Organiſation der unzufrie⸗ denen Elemente und rief gegen Ende 1861 den Bund
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der Fenians ins Leben. In Amerika ſtand John O'Mahony an der Spitze der neu angefachten Be— wegung, in J. James Stephens. Schon ſeit Anfang 1862 fanden im Weſten Irlands feniſche Meetings hauptſächlich zu dem Zweck der Aufnahme neuer Bun— desbrüder ſtatt. Der Eid bei der Aufnahme lautete dahin, daß der Betreffende Mitglied der iriſchen Re— publik ſein und ſich bereit halten wolle, ohne Verzug auf den Befehl der Führer zu den Waffen zu greifen. Ein eignes Parteiorgan wurde im November 1863 in einem zu Dublin erſcheinenden Journal: »The Irish Peoples, geſchaffen. Da die engliſche Regie— rung anfangs dem Treiben der Fenier ziemlich gleich— gültig zugeſehen hatte, griff dasſelbe weiter und wei— ter um ſich und machte namentlich in den nördlichen und weſtlichen Staaten der Union ſo bedeutende Fort⸗ ſchritte, daß die Vorſteher der verſchiedenen Diſtrikte, welche je nach ihrem Rang Centres oder Head Centres hießen, den oberſten Head Centre, eben jenen John O'Mahony (Big John genannt), zur Berufung eines Kongreſſes veranlaßten. Derſelbe trat im November 1863 in Chicago zuſammen und faßte drei bedeutſame Reſolutionen: der Kongreß hieß die Proklamierung der iriſchen Republik gut und verpflichtete ſich, ihre Anerkennung ſeitens der fremden Regierungen zu veranlaſſen; ſodann wurde die in J. vorhandene Zen⸗ tralexekutive der feniſchen Brüderſchaft als zu Recht beſtehend bezeichnet und endlich drittens beſchloſſen, Stephens nach Kräften zu unterſtützen.
Das Jahr 1865 ſollte das Jahr des Handelns wer— den und nicht vergehen, ohne daß das Banner der iriſchen Republik erhoben worden ſei. Die engliſche Regierung war jedoch von allem genau unterrichtet und ergriff entſcheidende Gegenmaßregeln. Zunächſt ſchritt man in der Nacht vom 15. auf 16. Sept. gegen den »Irish Peoples ein, beſetzte das Gebäude desjel- ben, bemächtigte ſich der Leiter der Agitation, nahm in den nächſten Tagen in den weſtlichen Diſtrikten Irlands zahlreiche Verhaftungen vor, proklamierte an einzelnen Orten den Belagerungszuſtand, ver— ſtärkte die Militärgewalt und ließ die Kanalflotte herbeikommen, um Zuzüge aus Amerika abzuſchnei— den. Emiſſäre aus Amerika wurden, da ſie von der neueſten Wendung noch nichts wußten, bereits am Bord der Schiffe feſtgenommen. Stephens wurde zwar unter fremdem Namen in einem Landhaus bei Dublin aufgefunden und verhaftet, doch gelang es ihm, wieder zu entkommen. Durch die Beſchlagnahme der Papiere in dem Redaktionsbüreau des »Irish Peoples waren der Regierung authentiſche Doku— mente über Gang und Zwecke der Bewegung in die Hände gefallen. Die beſonders Kompromittierten, deren man hatte habhaft werden können, wurden von Spezialkommiſſionen in Dublin und Cork abgeur— teilt. Die erſten Verſuche des feniſchen Bundes wa— ren damit geſcheitert, die Bewegung ſelbſt aber darum keineswegs erſtickt. Vielmehr ging dieſelbe, nament⸗ lich in Amerika, in großem Stil fort. Dort verſam⸗ melte ſich im Oktober 1865 zu New Pork ein aus Se: nat und Abgeordnetenhaus beſtehender feniſcher Kon— greß, und es ward eine förmliche Regierung für die Republik J. eingeſetzt, welche jedoch durch innere Zwi⸗ ſtigkeiten bald lahmgelegt wurde. In J. ſelbſt und in England äußerte ſich die Fortdauer der Bewegung, nachdem das Parlament 1866 die Suſpenſion der Habeaskorpusakte erneuert hatte, nur noch in einer Reihe blutiger Greuelthaten, wovon die entſetzliche Exploſion in der Nähe des Clerkenwellgefängniſſes im Dezember 1867 das meiſte Aufſehen gemacht hat. Ihr Zweck, die Befreiung des feniſchen Häuptlinas
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Vurke, wurde nicht erreicht; dagegen koſtete die That zahlreichen Perſonen aus dem nächſtliegenden Stadt— teil, welcher größtenteils von der niedern Klaſſe der Bevölkerung bewohnt war, das Leben. Durch dieſe Attentate und infolge von Zerwürfniſſen der Leiter der feniſchen Sache in Amerika verlor dieſelbe alle Sympathien, die ſie etwa noch gehabt hatte. Infolge— deſſen nahm die Bewegung in J. für einige Zeit einen ruhigern Charakter an, wozu einerſeits die Verſuche der herrſchenden Dynaſtie, ſich der iriſchen Bevölke— rung mehr zu nähern (dahin gehören der Beſuch des Prinzen von Wales im April 1868 und ſpäter die Er— nennung eines jüngern Sohns der Königin zum Her— zog des iriſchen Connaught), anderſeits die geſetz— geberiſchen Maßregeln, welche die engliſche Regierung unter Gladſtones Miniſterium für J. traf, weſent— lich beitrugen. Eine iriſche Reformbill von 1868 ſetzte den Zenſus in den Städten von 12 auf 4 Pfd. Sterl. herab und erhöhte dadurch die Zahl der Wäh— ler. Eine weitere wichtige Maßregel in dieſem Sinn war das nach langem Widerſtreben des Oberhauſes endlich durchgebrachte Geſetzüber die Entſtaatlichung der irischen Kirche« (Disestablishiment of the Irish Church), wodurch eine ſeit drei Jahrhunderten be: ſtehende Ungerechtigkeit, welche einem überwiegend katholiſchen Land eine reichdotierte proteſtantiſche Staatskirche aufdrängte, endlich bejeitigt wurde. Indem die Güter der Kirche, wenigſtens zum Teil, den auf ihnen lebenden Pachtern verkauft wurden, die den Kaufpreis in Jahresraten abtrugen, wurden gegen 6000 freie Bauerngüter auf iriſchem Boden geſchaffen. Von noch größerer Bedeutung aber war die iriſche Landakte, die Gladſtone in der Seſſion von 1870 durchſetzte. Die Lage der iriſchen Pachter war ſeit lange eine ſehr günſtige. Die iriſchen Guts— beſitzer haben nur in wenigen Fällen ihren Pachtern Häuſer gebaut oder die Unkoſten der Urbarmachung des Landes getragen, trotzdem beanſpruchten ſie häufig einen Pachtzins, der dem vollen Werte des Pacht— gutes entſprach (eine ſogen. Rackrent). In Ulſter war dies von jeher anders. Dort war es der Brauch, daß der neue Ankömmling dem abgehenden Pachter eine angemeſſene Entſchädigung für die von ihm vor— genommenen Ameliorationen zahlte, um in fried— lichen Beſitz des Pachtgutes zu gelangen. Dieſen »Ulſterbrauch⸗ verſuchte man durch die Landakte auf ganz J. auszudehnen. Sie verbeſſerte die Lage der Pachter, indem ſie denſelben einen gewiſſen Schutz gegen willkürliche Aufhebung des Pachtvertrags durch die Grundherren und gegen einſeitige Erhöhung des Pachtzinſes gewährte und ihnen eine Entſchä— digung für die von ihnen auf den Pachtgütern vor— genommenen Ameliorationenſicherte;ſie wollte außer: dem durch Vorſchüſſe aus Staatsmitteln den Pachtern den Ankauf der von ihnen bewirtſchafteten Grund— ſtücke erleichtern. Dieſe letztere Beſtimmung kam indeſſen nur denjenigen Pachtern zu gute, welche wenigſtens über gewiſſe Geldmittel verfügten, und der großen Maſſe des iriſchen Proletariats war da— mit nicht geholfen. Ein viertes Reformgeſetz, das in der Seſſion von 1873 vorgelegt wurde und durch die Regelung des iriſchenUniverſitätsunterrichts dringen— den Beſchwerden der Katholiken abhelfen ſollte, wurde im Unterhaus verworfen, und nicht lange danach machte der Rücktritt des Miniſteriums Gladſtone im Februar 1874 dieſer erſten Phaſe der iriſchen Re— ſormgeſetzgebung ein Ende. Homerulebewegung und Landliga. Inzwiſchen war die Agitation in J. zwar in ein ruhigeres Fahrwaſſer eingelenkt, aber ſie hatte
Irland Geſchichte bis zur Gegenwart).
darum keineswegs überhaupt aufgehört. Bei der Eröffnung der Parlamentsſeſſion von 1872 zuerſt trat ein beträchtlicher Teil der iriſchen Abgeordneten unter Führung von Iſaak Butt (ſ. d.) und Sullivan als eine eigne, von Konſervativen und Liberalen ge— trennte parlamentariſche Partei auf. Das Stichwort dieſer Partei war Home- rule. d. h. Selbſtregierung Irlands durch ein eignes, in Dublin tagendes, dem britiſchen nur in gewiſſen Dingen untergeordnetes Parlament und ein dieſem verantwortliches Mini— ſterium. Die Partei der Homerulers vereinigte allmählich den größten Teil aller iriſchen Abgeord- neten in ſich, wodurch ihr parlamentariſcher Einfluß wuchs, wenn auch die von derſelben vorgeſchlagenen geſetzgeberiſchen Maßnahmen regelmäßig abgelehnt wurden. Als nach Butts Tod (1879) die Führung der
Partei zunächſt auf Shaw, dann ſeit 1880 auf Charles
Parnell (ſ. d.) überging, gewannen die radikalen Elemente innerhalb der Partei vollig die Oberhand. Ihre Waffe im Parlament war die ſyſtematiſche Ob— ſtruktion: mit allen Mitteln, welche die laxe Ge— ſchäftsordnung des engliſchen Unterhauſes nur zu reichlich darbot, ſuchten ſie die ruhige und ord— nungsmäßige Erledigung der parlamentariſchen Ge— ſchäfte zu ſtören und die parlamentariſche Regierung unmöglich zu machen, um ſo ihren Forderungen und Beſchwerden Gehör zu verſchaffen. Und wirklich war es ſelbſt durch wiederholte Anderungen der Ge- ſchäftsordnung des Unterhauſes nicht zu verhindern, daß die ganze Geſetzgebung ins Stocken geriet. Im Land ſchuf Parnell 1880 die überaus geſchickte Or— ganiſation der Landliga, und indem er und ſeine Parteigenoſſen in zahlreichen Volksverſammlungen eine Fülle gefährlichſten Brandſtoffes in die leicht aufzureizende Menge hineinwarfen, gerieten alle Verhältniſſe in J. von neuem in die ſchwerſte Er— ſchütterung. Wiederum kam es zu agrariſchen Ver— brechen ſchlimmſter Art; die weithin gefürchteten Mondſcheinbanden« durchzogen das Land und miß— achteten die Autorität der Geſetze und der Behörden auf dasſchnödeſte; ihre offenen Gewaltthaten und das Syſtem des Boycotting (ſ. Boycott) erzwangen den Anordnungen der Führer der Landliga Gehorſam und ſpotteten aller Maßregeln der Regierung. Einerſeits durch harte Zwangsgeſetze, welche ganz J. unter einen Ausnahmezuſtand ſtellten, ander: ſeits durch neue Reformgeſetze verſuchte Gladſtone, der 1880 wiederum an die Spitze der Regierung ge— treten war, dieſer Agitation entgegenzuwirken. Ein zweites Landgeſetz, das er n J. 1881 nach hartem Kampf durchbrachte, ſchuf in J. eigne Gerichtshöfe, welche befugt ſein ſollten, auf Anrufen der Pachter oder der Grundherren einen gerechten Pachtzins auf einen Zeitraum von 15 Jahren ihrerſeits feſtzuſetzen. Es gab ferner den Pachtern die Erlaubnis, ihr Pacht⸗ recht jederzeit zu verkaufen, wobei dem Grundherrn nur ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde. Es ge: währte endlich neue und ſehr bedeutende Exleichte⸗ rungen für die Umwandlung des Pachtbeſitzes in freies Eigentum. Allein Parnell und ſeine Anhänger verwarfen dieſe Zugeſtändniſſe auf einer Konvention der Landliga im September 1881 unbedingt und wollten nur eine völlige Abſchaffung der Pachtzinſen, d. h. eine Expropriierung der Grundherren, als eine befriedigende Löſung der Landfrage anſehen; außer— dem erhielten ſie das Programm des Homerule im vollen Umfang aufrecht. Mochte nun auch die Regie— rung einſchreiten, die Liga auflöſen, Parnell und andre Führer verhaften (Oktober 1881), ſo dauerten darum die Unruhen in J. nichtsdeſtoweniger fort;
Irländiſches Perlmoos
an die Stelle der Landliga traten neue Organiſa— tionen, insbeſondere diejenige einer umfaſſenden Nationalliga, und weder die Freilaſſung der Ver— hafteten (April 1882) noch neue Zwangsmaßregeln oder Reformgeſetze (Mai bis Auguſt 1882) verhinder— ten, daß Geſetzloſigkeit und Verbrechen in J. die Herrſchaft behaupteten. Gladſtones Bündnis mit den Homerulers.
Da entſtand bei Gladſtone der Gedanke, dieſen un— heilvollen Zuſtänden durch Nachgiebigkeit gegen die politiſche Hauptforderung der iriſchen Homerulers ein Ende zu machen. Schon ſeine demokratiſche Re— formbill von 1884 hing mit dieſem Plan zuſammen. Sie gewährte nicht nur in England denjenigen Ele— menten der Bevölkerung, welche naturgemäß am meiſten mit den Iren ſympathiſierten, den unbemit— telten Bewohnern des platten Landes, den größten Einfluß auf die Zuſammenſetzung des Unterhauſes, ſondern ſie veränderte auch in J. das Wahlrecht zu gunſten der Parnelliten dergeſtalt, daß dieſe über nicht weniger als 86 Sitze in dem Ende 1885 neuge— wählten Parlament verfügten, und daß ſie dadurch, da keine der beiden großen Parteien im Unterhaus für ſich allein die Mehrheit hatte, die ausſchlaggebende Macht in demſelben erhielten. Bei den Wahlen wa: ren zwar die Parnelliten noch mit den Tories zuſam— mengegangen; gleich nach dem Zuſammentritt des
Verbindung und ſtürzte mit ihrer Hilfe im Januar 1886 das im Vorjahr gebildete Miniſterium Salis— bury. Dann legte er dem Unterhaus zwei Geſetzent— würfe vor, welche die iriſche Frage endgültig regeln ſollten. Der eine derſelben führte das Homerule ein, der andre bewilligte engliſche Geldmittel, um den Grundbeſitz in J. in das Eigentum iriſcher Bauern überzuführen. Nur der erſte dieſer Entwürfe gelangte im Unterhaus zu eingehender Beratung. Er be— ſtimmte die Errichtung eines iriſchen Parlaments in Dublin, das mit einem ihm verantwortlichen Mini- ſterium die Regierung des Landes führen ſollte. Der Kompetenz dieſes Parlaments ſollten die auswärti— gen, die Heeres- und Flottenangelegenheiten, endlich die Zollpolitik entzogen ſein; zu den Ausgaben für jene ſollte J. einen fixierten Anteil entrichten. Das iriſche Parlament ſollte ferner zu keiner Veränderung dieſes Grundgeſetzes befugt ſein. Im übrigen wur— den ihm die ausgedehnteſten Rechte der Landesregie— rung beigelegt, wogegen die iriſchen Abgeordneten und Peers aus dem engliſchen Parlament ausſchei— den ſollten.
Während dies Geſetz in London beraten wurde, herrſchte in J. die größte Erregung. Wenn auch die Ho— merulers den Vorſchlag Gladſtones mit Begeiſterung aufnahmen und unterſtützten, ſo bekämpften ihn doch die in J. angeſeſſenen Proteſtanten, die beſonders in Ulſter mächtig waren, auf das entſchiedenſte. Sie erblickten in demſelben eine Preisgebung aller ihrer Intereſſen; in einem iriſchen Parlament zu Dublin mußten unfehlbar die Ultramontanen die Herrſchaft gewinnen, der ſie ſich nicht unterwerfen wollten. Sie verlangten für den Fall der Annahme des Geſetzes die Trennung Ulſters von J., ſie drohten mit bewaff⸗ netem Widerſtand und rüſteten ſich dazu.
Im Parlament wurde das Homerulegeſetz 7. Juni abgelehnt, da ein beträchtlicher Teil der liberalen Partei Gladſtone die Heeresfolge verweigerte. Nun löſte dieſer das Unterhaus auf, und bei den Neuwah⸗ len verbanden ſich die Gladſtonianer und die Par⸗ nelliten einer-, die liberalen Unioniſten⸗ unter Har⸗ tington und Chamberlain und die Konſervativen an—
Meyers Konv.⸗Lexikon, 4. Aufl., IX. Bd.
— Irmenſäulen. 17 derſeits. Erſtere unterlagen, und Gladſtone mußte einem Miniſterium Salisbury Platz machen. Als⸗ bald wurde die für kurze Zeit unterbrochene Agitation in J. aufs lebhafteſte wieder aufgenommen. Die Führer der Nationalliga gaben das Loſungswort aus, die Zahlung der Pachtzinſen einzuftellen oder dieſe vielmehr, ſtatt an die Grundherren, an eigne Ver⸗ trauensmänner zu entrichten, die aus den Kreiſen der Liga genommen wurden. Die Regierung ſchritt dagegen auf Grund alter Geſetze aus mittelalter— licher Zeit energiſch ein, erklärte das neue Syitem« für eine Verſchwörung gegen die Geſetze und ſtellte einige der Führer, namentlich den Abgeordneten Dillon, im Dezember 1886 vor Gericht. Der Erfolg dieſer Bemühungen ſteht dahin.
[Litteratur] Vgl. die Sammlung der alten iriſchen Chroniken: Rerum, hibernicarum seriptores vete- res, mit lateiniſcherlberſetzung von O'Connor( Lond. 1814— 26, 4 Bde.); Cox, Hibernia anglicana (da. 1689— 90, 2 Bde.); Leland, The history of Ireland from the invasion of Henry II. (daſ. 1773, 3 Bde.; Dubl. 1814); Plowden, Historical review of Ire- land (Lond. 1805, 2 Bde.); Gordon, History of Ireland from the earliest account to the accom- plishment of the union with Great Britain (daf. 1806, 2 Bde.); Hegewiſch, Überficht der irländiſchen
Geſchichte (Altona 1806); die Darſtellungen der Ge- neuen Parlaments aber trat Gladſtone mit ihnen in
ſchichte Irlands von Burdy (Lond. 1819), O'Dris— col(daſ. 1827, 2 Bde.), Lindau fortgeſetzt von Bran- des, Leipz. 1829 — 46, 2 Bde.), Th. Moore (Lond. 1839, 4 Bde.), Lappenberg (in Erich und Grubers »Ency— klopädie „Bd. 24, Leipz. 1846), O'Grady (Lond. 1881, Bde.), Walpole (daſ. 1882), O'Conor (History of the Irish peoples, Mancheſter 1883, 2 Bde.). Von Spezialwerken: Haſſencamp, Geſchichte Irlands von der Reformation bis zu ſeiner Union mit England (Leipz. 1886); Bagwell, Ireland under the Tudors (Lond. 1885, 2 Bde.); Gilbert, History of the vice- roys of Ireland (Dubl. 1865); Lecky, The leaders of public opinion in Ireland (Lond. 1871); O'Brien, Parliamentary history of the Irish land question (Ddaſ. 1881); Thebaud, The Irish race inthe past and the present (New Pork 1873); Froude, The Eng- lish in Ireland in the eighteenth century (Lond. 1874, 3 Bde.); Collier, Staats- und Kirchenge— ſchichte Irlands (Berl. 1845); Murray, Eeclesias- tical history of Ireland (2. Aufl., Lond. 1848); Kil⸗ len, Ecelesiastical history of Ireland (daſ. 1875, 2 Bde.); über das alte iriſche Recht (Breton laws«) vgl. Maine, Early history of institutions (daſ. 1875).
Irländiſches Perlmoos, ſ. Sphaerococcus.
Irmäk (türk.), ſ. v. w. Fluß.
Irmenſäulen (Irminſüli), die dem deutſchen Gott Irmin (j. d.) geweihten Säulen, deren berühmteſte bei der Eresburg, dem heutigen Marsberg (Stadt— berge) in Weſtfalen, ſtand und 772 von Karl d. Gr. bei einem Sieg über die Sachſen zerſtört wurde. Es waren hoch ragende (hölzerne) geweihte Säulenſchäfte, die wahrſcheinlich auch das Bild des Gottes trugen und das Hauptheiligtum des Volkes bildeten. Die im Hildesheimer Dom aufbewahrte »fteinernes Säule wird mit Unrecht als Irmenſäule bezeichnet. Sie be⸗ ſteht nach neuern Unterſuchungen aus Kalkſinter, wie er ſich in römiſchen Waſſerleitungen findet, und mag aus den Niederlaſſungen der Römer am Rhein ins Innere von Deutſchland gekommen ſein. Schwartz reiht die Verehrung der J. dem weit über Abend: und Morgenland verbreiteten Säulen- und Baum⸗ kultus überhaupt an und findet den Urſprung desſelben in der Auffaſſung und Verehrung des aufſteigenden
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Irmer — Ironie.
Sonnenlichts als einer aufſteigenden »Lichtſäule lehrt haben ſoll, iſt unerwieſen. Er lehrte in Bologna oder eines ſich am Himmel veräſtelnden Lichtbaums, zuerſt die freien Künſte, beſchäftigte ſich hierauf, von seie er die auch im Talmud hervortreten (vgl. | der Markgräfin Mathilde (geſt. 1115) angeregt, mit
feine »Prä
iſtoriſchen Studien, S. 274 ff.). Sim: den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern und brachte deren
rock iſt geneigt, die J. überhaupt als Bild des Welt: | Studium in neuen Aufſchwung, jo daß er als Stifter baums (Ygdraſil, ſ. d.), Mannhardt, ſie als Lebens- der BologneſerRechtsſchule der Gloſſatoren(ſ.Gloſſe) baum der Volksgeſamtheit- zu faſſen, Deutungen, gilt. Wir beſitzen von ihm ungedruckte Gloſſen und welche nur für die Entwickelung des betreffenden Kul- die ſogen. Authentiken, d. h. Novellenauszüge im Ju⸗
tus eine Berechtigung haben.
Irmer, Karl, Maler, geb. 28. Aug. 1834 zu Ba⸗ bitz bei Wittſtock, bildete ſich in Deſſau bei dem Hof⸗ maler Becker und ſeit 1855 in Düſſeldorf bei Gude. Auf häufigen Studienreiſen in Deutſchland, Oſter— reich, Frankreich und Belgien ſammelte er die Mo— tive zu ſeinen fein empfundenen, pe Flachlandſchaften, die meiſt Wieſen mit weidendem Rindvieh darſtellen. Von ihnen ſind zu nennen: Mondaufgang, Diekſee bei Gremsmühlen in Holſtein (1876, Nationalgalerie zu Berlin), Landſchaft von Rügen, Köhlerei aus dem Ilſethal im Harz, Land⸗ ſchaft in Holſtein, Abend auf Rügen, oſtfrieſiſche Ge- höfte auf Sylt, Straße aus Ilſenburg, Abenddäm— merung, Schierke im Harz, Bodethal im Harz, von der Inſel Borkum. J. lebt in Düſſeldorf und beſitzt die kleine goldene Medaille der Düſſeldorfer Kunſt⸗ ausſtellung.
Irmin, altgerman. Wort, welches ſ. v. w. allge: | mein oder umfaſſend bedeutete und in den älteſten Schriftdenkmälern gewöhnlich als Beſtandteil zuſam⸗ mengeſetzter Namen (3. B. Irminman, Irmingot, Irmanfrit, Irmangart) vorkommt (auch in Ermana⸗ rich oder Ermrich und vielleicht in Arminius klingt es wider), bei den eigentlich deutſchen Stämmen aber als Beiname desjenigen Gottes (Thor?) aufzufaſſen iſt, welchen die nach ihm benannten Stämme der Her⸗ minonen und Hermunduren als »gemeinſamen Gott verehrten. Nach ihm hieß Irminswagen das Stern— bild des Großen Bären. Auch waren ihm die ſogen. Irmenſäulen (ſ. d.) geweiht.
Irmiſch, Johann Friedrich Thilo, Botaniker, geb. 14. Jan. 1816 zu Sondershauſen, ſtudierte ſeit 1836 in Halle Theologie und Philoſophie und mit be⸗ ſonderer Vorliebe Naturwiſſenſchaft, namentlich Bo⸗ tanik. 1844 erhielt er eine Anſtellung am Gymnaſium in Sondershauſen, welchem er bis zu ſeinem Tod, 28. April 1879, angehörte. Seinen Ruf als Morpho: | log von der Richtung Schimpers und Brauns begrün— dete J. durch das Werk »Zur Morphologie der mo— nokotyledoniſchen Knollen- und Zwiebelgewächſe⸗ (Berl. 1850), in welchem er neben der Sproßfolge auch die Lebensverhältniſſe dieſer Pflanzen in licht⸗ voller Weiſe darſtellte. Er veröffentlichte zahlreiche Abhandlungen über morphologiſche Gegenſtände (Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Pflan- zen«, Halle 1854-63, 4 Tle.) und wandte ſeine Be⸗ obachtungen mit Vorliebe einheimiſchen Pflanzen zu. Auch ſchrieb er: »Über einige Botaniker des 16. Jahr⸗ hunderts, welche die Flora Thüringens und des Har— zes erforſchten« (Sondersh. 1862). Ein umfaſſen⸗ deres Werk über Sproßfolge für das Handbuch der phyſiologiſchen Botanik« von Hofmeiſter, De Bary u. J. Sachs hat er als Manuſkript hinterlaſſen. Seit 1863 redigierte er das »Sondershäuſer Regierungsblatt«.
Irnerius (auch Yrnerius, Hirnerius, Hyr⸗ nerius, in Urkunden Warnerius, Wernerius, Guarnerius, Gernerius), ausgezeichneter Juriſt des 12. Jahrh., ein Bologneſe von Geburt, erſcheint in Urkunden von 1113 bis 10. Dez. 1125 und ſeit 1116 im Dienſte des Kaiſers Heinrich V. Daß er in Konſtantinopel ſtudiert und ſodann in Ravenna ge: |
ſtinianiſchen Kodex. Sein »Formularium tabellio- num«, eine Anweiſung für Notare, jeine »Quaestio- nes«, Entſcheidungen von Rechtsfällen, und ein von ihm verfaßtes Werk über die Klagen ſind verloren. Sein Todesjahr iſt unbekannt. Er ſtarb vielleicht
unter Kaiſer Lothar II., jedenfalls vor 1140. Vgl.
Del Vecchio, Notizie di Irnerio e della sua scuola (Piſa 1869); J. Ficker, Forſchungen zur Reichs- und
Rechtsgeſchichte Italiens, Bd. 3 (Innsbr. 1870).
Iro, Seebecken im ſüdlichen Wadai in Afrika, wel⸗ ches den Bahr es Salamat aufnimmt und wahrſchein⸗
lich zum Schari abfließt.
Irokeſen (Hodenoſauni, d. h. Volk des langen Hauſes), Name eines einſt großen und mächtigen Indianervolkes in Nordamerika, das in zwei Haupt⸗ gruppen zerfiel. Die nördliche (größere) Gruppe beſtand wieder aus zwei Abteilungen, einer öſtlichen, welche die ſogen. fünf Nationen: die Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga und Seneca, in ſich begriff und meiſt im S. des St. Lorenzfluſſes und des Ontario⸗ ſees wohnte, und aus einer weſtlichen Abteilung, beſtehend aus den Wyandot, den Huronen und den
Attionandaron oder der Bis neutralen Nation,
welche im N. des Erieſees wohnte, ſowie aus den An⸗ daſten (Guyandot) und Eriga (Cat-Nation) im S. des Erieſees. Die Konföderation der oben genann⸗ ten fünf Nationen, wie ſie von den Engländern be⸗ zeichnet wurden, während fie bei den Franzoſen Jro⸗ quois hießen, war ſchon vor der Ankunft der Euro⸗ päer ſehr mächtig und wohl auch in beſtändigem Kampf mit verwandten und andern Stämmen begriffen. Sie waren in der Agrikultur und in der Anfertigung ihrer Waffen ſowie in den wenigen Künſten der Indianer weiter vorgeſchritten als die Algonkin und zeigten ſtets mehr Intelligenz als dieſe, beſonders in der Krieg⸗ führung. Ihre Teilnahme an den Kriegen zwiſchen Engländern und Franzoſen in jenem Teil von Amerika iſt ſehr wichtig geweſen. 1714 und 1715 wurden von
der Konföderation als ſechſte Nation die Überreſte
der Tuscarora aufgenommen, eines früher mäch⸗ tigen Irokeſenſtammes der ſüdlichen Gruppe in Nord⸗ carolina, der nach einem unglücklichen Krieg mit den Carolinern von dort auswanderte. Überreſte der fünf Nationen und der Tuscarora finden ſich noch in Oberkanada, im Staat New Pork (1883: 5119) und in Reſervationen weſtlich vom Miſſiſſippi in einer Geſamtzahl von etwa 15,000 Seelen. Auch die Reſte der Wyandot ſind nach W. verpflanzt worden. Die ſüdliche (kleinere) Gruppe der J. beſtand aus den eben erwähnten Tuscarora und den Meherrin (Tute⸗ loc). Gänzlich ausgeſtorben ſind die Attionandaron, Erie, Nottoway und Andaſten. Die Sprache der J. hat der Abbe Cuog lexikaliſch bearbeitet (Montreal 1882). Vgl. Schoolcraft, Notes on the Iroquois (Albany 1847).
Iron, Volk, ſ. Oſſeten.
Ironbridge (ſpr. éir'nbridſch), Stadt in Shropſhire (England), im tiefen Thal des Severn, über den die 1779 von A. Darby erbaute gußeiſerne Brücke führt, mit Kohlengruben, Eiſenhütten und (1883154 Einw.
Ironie (griech. eironeia), im Reden die »verftellte Unwiſſenheit oder Zuftimmungs, die als Mittel zur
Iron Mountain Village — Irregulär
Verſpottung, Verhöhnung andrer dient; im äſtheti— ſchen Sinn Figur des feinern Spottes, die das Gegen: teil von dem 655 was man verſtanden wiſſen will, oder die ſcheinbar ernſt gemeinte Aufſtellung des ent— gegengeſetzten Verhältniſſes von dem Dargeſtellten, in der Abſicht, das Verkehrte, Widerſprechende oder Lächerliche des letztern deſto mehr bloßzuſtellen. Die J. muß ganz unbefangen auftreten, wenn es ihr ge⸗ lingen ſoll, das Unwahre, Leere und Nichtige einer Meinung, Sache oder Handlung dadurch recht in die Augen ſpringend zu machen, daß ſie jener Meinung, Handlung ꝛc. den Anſtrich der eignen Billigung gibt, daß fie alſo einen Kontraſt zwiſchen dem eigentlichen Gedanken und dem wörtlichen Ausdruck desſelben auf: ſtellt. Man kann daher die J. auch eine frei durd)- zer Darſtellung des Unwahren in der Form des
ahren nennen. Am lebhafteſten wird ſie, wenn der Ton der Rede mitwirken kann. Als wiſſenſchaftliche Lehrweiſe iſt die J. von Sokrates, als Grundlage
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Aberration des Auges noch auftreten. S. auch Ge: ſicht, beſonders S. 236. Vgl. Plateau, Mémoire sur l'irradiation (Brüſſel 1839); Derſelbe in Boggen- dorffs Annalen⸗ (Ergänzungsband 1842); Welcker, Über J. (Gieß. 1852).
Irrationäl (lat., irrationell), vernunftwidrig, unvernünftig; in der Mathematik Bezeichnung für eine Zahl, die in Bezug auf die Einheit inkommen— ſurabel (ſ. d.) iſt, deren Wert man daher nicht völlig genau, ſondern nur annähernd (durch einen unend— lichen, nicht periodiſchen Dezimalbruch) ausdrücken kann. Beiſpiele bieten die Wurzeln aus ganzen Zah— len, die nicht ſelbſt ganze Zahlen find, die Kreisum⸗ fangszahl x = 3,1415926... u. a.
Irrationalismus (lat.), Vernunftwidrigkeit, Man⸗ gel an Vernunft oder an Anwendung derſelben.
Irrawaddy, Fluß, ſ. Irawadi.
Irredenta (Italia irredenta, das unerlöſte Ita⸗ lien), Name eines Vereins in Italien, der die Be—
der Kunſtkritik von der ſogen. romantiſchen Schule freiung aller italieniſch redenden Gebietsteile außer:
angewandt worden. Romantiſche Aſthetiker, wie Solger und Tieck, verſtanden unter J. das freie Spiel des Künſtlers mit ſeinem Stoff oder, nach Tiecks Ausdruck, die letzte Vollendung eines Kunſtwerkes, jenen Athergeiſt, der befriedigt und unbefangen über dem Ganzen ſchwebt, was aber dem Sprachgebrauch Gewalt anthut. Andre, wie namentlich Fr. Schlegel, haben den Ausdruck J. dadurch in Verruf gebracht, daß ſie darunter ein Hinwegſetzen über alles Weſent⸗ liche und Ernſte, ein blaſiertes Über⸗alles-hinaus⸗ſein verſtanden. Eine Abart der J. iſt der Sarkasmus; eigentümliche Durchführungen derſelben ſind Paro— die und Traveſtie. Vgl. Schasler, Das Reich der J. in kulturgeſchichtlicher und äſthetiſcher Beziehung (Berl. 1879).
Iron Mountain Village (spr. einen mauntin willedſch), Dorf im amerikan. Staat Miſſouri, 110 km ſüdſüd⸗ weſtlich von St. Louis, bei einem aus Eiſenerz ge: bildeten, 70 m hohen Hügel, mit (1880) 1243 Einw.
Ironsand (engl., ſpr. etr'nſſänd, Eiſenſand«), ſ. v. w. ebe Sandſtein oder Bohnerz.
Ironſide (engl., ſpr. eirn⸗ſſeid, »Eiſenſeite⸗), Bei⸗ name des Königs Edmund (f. d.) von England.
Iron- Stone (pr. öiv'n-ftohn), ſ. Thonwaren.
Ironton (ſpr. eirn'tön), Stadt im nordamerikan. Staat Ohio, am Ohio, in der Nähe ergiebiger Eiſen- und Kohlengruben, mit Gießereien, Maſchinenfabriken und (1880) 8857 Einw.; 1849 gegründet.
Iroquois (franz., ſpr. -tda), Volk, ſ. Jrokeſen.
Iros (auch Arnäos), ein Bettler im Haus des Odyſſeus; ſprichwörtlich für Bettler überhaupt.
Irradiation (lat., »Beſtrahlung«), eine optiſche Täuſchung, welche darin beſteht, daß helle Gegen⸗ ſtände auf dunklem Grund debe und dunkle Gegen⸗ ſtände auf hellem Grund kleiner erſcheinen, als ſie wirklich find. Man beobachtet die J. beſonders auf: fällig an der Mondſichel, welche einer Scheibe von größerm Halbmeſſer anzugehören ſcheint als der Reſt des Mondes, da ſie über letztern übergreift. Die J. zeigt ſich bei allen Entfernungen von der Weite des deutlichen Sehens bis zu unendlicher Entfernung. Je ſtärker der Glanz des Objekts iſt, deſto auffallen⸗ der iſt die Vergrößerung durch die J., jedoch ſo, daß dieſe Vergrößerung ſchon bei einem der Tageshelle gleichkommenden Glanz ihre Grenze erreicht. Nach
8 Plateau erklärt ſich die J. durch eine Ausbreitung
des Lichteindrucks auf der Netzhaut unſers Auges, nach Helmholtz genügen zur Erklärung die Zer⸗ ſtreuungskreiſe, welche ſelbſt bei vollkommener Akkom⸗ 2 modation infolge der ſphäriſchen und chromatiſchen
halb des Königreichs Italien von der Fremdherrſchaft und ihre Vereinigung mit Italien erſtrebt. Die Be⸗ wegung richtet ſich alſo auf die Erwerbung von Süd⸗ tirol, Görz, Iſtrien, Trieſt, Kanton Teſſin, Nizza, Corſica und Malta; ja, auch Dalmatien wurde als ehe— mals venezianiſcher Beſitz dazu gerechnet, obwohl nur ein Teil der ſtädtiſchen Bevölkerung daſelbſt italieniſch ſpricht. Größere Bedeutung erhielt die Agitation 1878, als Italien bei der Neuregelung der orientaliſchen Verhältniſſe auf dem Berliner Kongreß leer ausging, während Ofterreich durch den Erwerb Bosniens und der Herzegowina ſich den Beſitz ſeiner adriatiſchen Küſtenlande ſicherte. Sofort ſtellte ſich Garibaldi an die Spitze der Bewegung, und ihm ſchloſſen ſich Ra— dikale, Republikaner und Sozialiſten an, um der Regierung neue Schwierigkeiten bereiten zu können. Wegen dieſer Zuſammenſetzung des Vereins richtete er ſein Streben auch vor allem auf die Befreiung von Südtirol (Trentino) und Trieſt von der ſogen. öſterrei— chiſchen Gewaltherrſchaft, und eine 21. Juli 1878 in Rom unter Menotti Garibaldis Vorſitz abgehaltene Volksverſammlung verlangte ſofortige Beſetzung von Trient und Trieſt durch Freiwilligenbataillone, wo— bei man ſich auf die Sehnſucht der Einwohner dieſer Gebiete, zu Italien zu gehören, berief. Der damalige Miniſterpräſident Cairoli, einſt ſelbſt Freiſchärler, ließ die J. gewähren, wobei ſich zeigte, daß ſie im Volk ſelbſt wenig Anhang fand und über leere De: monftrationen nicht hinauskam. Erſt als die Okku— pation von Tunis Italien zur Annäherung an die Kaiſermächte veranlaßte, ſchritt der neue Miniſter⸗ präſident Depretis mit Erfolg gegen die Irredentiſten ein. Im Auguſt 1882 planten Trieſter Irredentiſten ein Bombenattentat gegen den Kaiſer, die Verſchwö⸗ rung wurde aber rechtzeitig entdeckt und ein Mitglied, Oberdank, ergriffen und im Dezember hingerichtet. Weil aus dieſem Anlaß die Agitation von neuem auf⸗ lebte, ſprach ſich der auswärtige Miniſter Maneini in der Kammer 13. März 1883 aufs ſchärfſte gegen die J. aus, die nicht die Größe Italiens, ſondern den Sturz der Monarchie wolle. Vgl. Haymerle, Ita- licae res (Wien 1879).
Irreformäbel (lat.), unverbeſſerlich.
Irregulär (lat.), unregelmäßig, alles, was von der Regel abweicht oder ihr widerſtreitet. Irregu⸗ läre Raumgeſtalten nennt man ſolche, deren Sei⸗ ten, Winkel, Ecken und Flächen nicht von gleicher Größe und Geſtalt ſind, irreguläre krumme Li⸗
nien ſolche, die kein beſtimmtes, mathematiſch aus⸗
drückbares Geſetz verfolgen. Irreguläre Truppen 2 *
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Irregularität — Irrenanſtalten.
find ſolche, welche, zum Krieg aufgeboten, in Beklei⸗ verſchiedener Weiſe verwahrt, in neuerer Zeit aber dung, Ausrüſtung und Bewaffnung ungleichmäßig, häufig nur mit Glas von ſolcher Stärke verſehen, daß
auch hierin nicht den übrigen Truppen des Heers leichen, letzterm in der Regel nicht als feſter Be— tandteil angehören und ſelten feſte, taktiſche Verbände bilden. Meiſt werden ſie nur zum kleinen Krieg ver— wendet. In der Türkei bilden irreguläre Truppen einen weſentlichen Beſtandteil der Kriegsmacht, ebenſo ibt es ſolche im ruſſiſchen Heer, wo auch die Ko— aken, welche jetzt eine ganz beſtimmte Organiſation erhalten haben, offiziell noch immer als Irreguläre elten. — J. in der Botanik ſ. v. w. zygomorph; ? Blüte, ©. 70.
Irregularität (lat., Unregelmäßigkeit ), das Vor⸗ handenſein von Mängeln, welche nach katholiſchem Kirchenrecht eine Perſon zum Empfang der Prieſter⸗ weihe unfähig machen oder einen Geiſtlichen von der Ausübung ſeiner Funktionen oder von der Erlangung der höhern Weiheſtufen ausſchließen. Man unter⸗ ſcheidet dabei zwiſchen Irregularitas ex defectu und I. ex delicto, indem unter Defeetus ein ſolcher Man- gel verſtanden wird, welcher den damit Behafteten zur Ausübung geiſtlicher Funktionen unfähig macht oder in den Augen des Volkes als unwürdig erſchei— nen läßt; jo z. B. der Defectus natalium, d. h. Man⸗ gel der ehelichen Geburt, Defectus aetatis, Mangel des erforderlichen Alters (für den Biſchof 30, für den Prieſter 25 Jahre), Defectus scientiae, Mangel der
erforderlichen Kenntniſſe, und Defectus perfectae |
lenitatis, Mangel der erforderlichen Herzensmilde, welcher bei ſolchen Perſonen angenommen wird, die, wenn auch erlaubterweiſe, wie z. B. Soldaten im Krieg, den Tod eines Menſchen verurſacht haben.
Irregularitas ex delicto liegt dagegen in Anſehung
derjenigen vor, welche ſich einer verbrecheriſchen Hand— lung ſchuldig gemacht haben. Wird der fragliche Mangel nicht etwa von ſelbſt beſeitigt, wie z. B. bei dem Defectus aetatis durch Erreichung des erforder— lichen Alters, jo kann er nur durch Dispenſation ſei— tens des Papſtes, in gewiſſen Fällen auch ſeitens der Biſchöfe, gehoben werden.
Irrelevant (lat.), unerheblich, unwichtig, gering— fügig; Irrelevantia, unerhebliche, geringfügige Dinge.
Irreligioſität (ſpätlat.), Religionsloſigkeit, Reli: gionsverachtung.
Irrenanſtalten (Jrrenhäuſer), Gebäude zur Aufnahme von Geiſteskranken, welche in denſelben zweckmäßig beſchränkt, verpflegt und ärztlich behan- delt werden ſollen. Die allgemeinen Erforderniſſe einer Irrenanſtalt find teils die eines jeden Kranken— hauſes (ſ. d.), teils ergeben ſie ſich aus den ſpeziellen Zwecken der Anſtalt. Sie muß die Beaufſichtigung und Sicherung der Kranken ermöglichen, ohne das Gepräge eines Gefängniſſes an ſich zu tragen, ſie muß daher die Mittel bieten, die verſchiedenen Kran— ken zweckmäßig voneinander zu trennen, und ihnen möglichſte Freiheit gewähren, ohne jemals die Ge— walt über ſie zu verlieren. Abgeſehen von der Tren— nung der Geſchlechter, trennt man auch die verſchie— denen Formen und Zuſtände des Irreſeins und er— zielt um ſo beſſere Reſultate, je weiter eine ſolche Trennung durchgeführt wird. Man bedarf Wohn— und Schlafräume, Krankenzimmer für bettlägerige
Patienten, Räume für geſellige Unterhaltung, reli: |
giöſe Übungen, Unterricht, Werkſtätten, Gärten, Fel— der ıc. unbemerkten Beobachtung der Irren und Simulanten beſitzen und alle Gelegenheiten zur Selbſtbeſchä—
digung der Kranken (Ofen, Thürklinken, Haken, Nä- | gel) möglichſt ausſchließen. Die Fenſter werden in
Die Zimmer müſſen eine Einrichtung zur
dasſelbe ohne ſchwere Inſtrumente nicht zertrümmert werden kann. Abtritte und Badeanſtalten erfordern beſondere Einrichtungen, und für Tobſüchtige hat man Iſolierzellen mit gepolſterten oder dick mit Kautſchuk belegten Wänden, ſo daß die Irren ſich nicht beſchä⸗ digen können. Die Größe der J. ſchwankt bedeutend, die Zahl der Patienten zwiſchen 100 und 1200.
Die oberſte Leitung einer Irrenanſtalt muß einem Arzt überwieſen, und alle übrigen Beamten müſſen dieſem unterſtellt werden. Indeſſen beſteht in manchen, ſelbſt den beſten engliſchen J. dieſe Ein⸗ richtung nur ſcheinbar; der erſte Arzt führt neben der therapeutiſchen Behandlung nur die Oberaufſicht, und die eigentliche Seele der Anſtalt iſt der Haus⸗ meiſter und die Aufſeherin oder ein Chirurg. In den meiſten franzöſiſchen Anſtalten üben die Barmherzi⸗ gen Schweſtern, indem ſie dem Arzt zur Seite ſtehen, einen wohlthätigen Einfluß aus. Der gute Zuſtand der Anſtalt und der gedeihliche Erfolg der Bemühun⸗ gen des Arztes hängen zum großen Teil von der Be⸗ ſchaffenheit des Wärterperſonals ab. Das Durch⸗ ſchnittsverhältnis der Wärter zu den Kranken hat man wie 1:6 angenommen; es iſt aber nicht zu überſehen, daß die Kranken höherer Stände mehr un⸗ mittelbare Beaufſichtigung, Bedienung und Wartung fordern als die der niedern, und daß zu gunſten jener die Zahl der Wärter für dieſe nicht verringert wer⸗ den ſollte; denn die Erfahrung lehrt, daß oft die ſorg⸗ fältigſte Behandlung des Wahnſinns nicht eher von Erfolg iſt, als bis ſie durch die Zuteilung eines be⸗ ſondern Wärters gefördert wird. Lange Zeit hindurch hat man geglaubt, die freie Bewegung namentlich tobender Irren durch äußere Gewaltmaßregeln be⸗ ſchränken zu müſſen. In der Neuzeit ſucht man die Tobenden gleichſam nur gegen ſich ſelbſt zu ſchützen; im übrigen aber läßt man die Kranken, ſelbſtverſtänd⸗ lich unter ſorgfältiger Beaufſichtigung, ſich frei be⸗ wegen und wendet Zwangsapparate nur in den
äußerſten Fällen an. Bei manchen Irren, welche Nah⸗ rungsaufnahme konſequent verweigern, iſt Zwangs⸗
fütterung erforderlich.
Das Altertum ſcheint bei ziemlich richtigen Anſich⸗ ten über die Geiſteskrankheiten beſondere J. nicht beſeſſen zu haben. Später verwahrte man die Irren als von Dämonen Beſeſſene auf dieſelbe Weiſe und an denſelben Orten wie Verbrecher und belud ſie auch wie dieſe mit Ketten. Die erſten wirklichen J. wur⸗ den 1409 in Valencia, 1429 in Saragoſſa und 1436 in Sevilla errichtet. Dann folgte Stockholm 1531, und in Deutſchland verwandelte Philipp der Groß⸗ mütige 1533 die Klöſter Haina, Merxhauſen und Hof⸗ heim in J. Es folgten dann weiter England (Bedlam) 1547, die Türkei 1560, Frankreich (Charenton) 1645, Rußland 1776 und Oſterreich (Wien) 1784. Welcher Art aber die Behandlung der Irren in dieſen An⸗ ſtalten war, geht z. B. daraus hervor, daß das Volk ſich noch zu Ende des 18. Jahrh. an den Sprüngen und dem Geheul der Tollen ergötzte. Erſt Pinel
(1745-1826) nahm den Irren die Ketten ab, und fein
Schüler Esquirol ſetzte ſeine Bemühungen fort. Auf Heilung der Irren war man erſt ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts bedacht. Pienitz in Pirna trennte zu⸗ erſt 1807 die heilbaren Irren von den unheilbaren, und 1811 wurde die Reihe der abſolut getrennten Heil- und Pfleganſtalten mit der Heilanſtalt Son⸗ nenſtein eröffnet. In Siegburg (Rheinprovinz), Sachſenberg (Mecklenburg) und Winnenthal (Würt⸗ temberg) folgte man dieſem Prinzip, während ſonſt
Irreparabel — Irreſpirabel. 21
das gemiſchte Syſtem beibehalten wurde, auch nach— dem Damerow mit feinen »relativ-verbundenen Heil- und Pflegeanſtalten hervorgetreten war und einige Orte dies Syſtem acceptiert hatten. Im allgemeinen haben dieſe Syſteme weniger Erfolg gehabt als einige fremdländiſche, die teils aus finanziellen, teils aus wiſſenſchaftlich-praktiſchen Motiven in Vorſchlag ge— bracht wurden. Die Koſten für die Irrenpflege haben nämlich eine bedenkliche Höhe erreicht (in den fünf neuen Anſtalten der Rheinprovinz beträgt das Bau⸗ kapital 12,000 Mk. pro Kopf), und die Beobachtungen in den gemiſchten Anſtalten ergeben, daß 35—45 Proz. der Kranken bei geringerer Freiheitsbeſchränkung viel beſſer gedeihen als bei der bisherigen Behand— lung. Bei dem engliſchen Cottageſyſtem, welches in Deutſchland nur in Bunzlau nachgeahmt wurde, werden kleine, getrennte Häuſer (cottages) in ein⸗ fachſter, ländlicher Bauart außerhalb der Ringmauern der Anſtalt, aber doch noch auf dem Terrain derſelben zur Aufnahme von ruhigen Kranken errichtet, welche ſich hier unter Aufſicht zuverläſſiger Dienſtleute mit landwirtſchaftlichen Arbeiten beſchäftigen. In dem belgiſchen Dorf Gheel (ſ. d.) beſteht, angeblich ſeit dem 7. Jahrh., eine Verpflegung ruhiger, ungefähr⸗ licher Irren in einzelnen Familien, während eine gchoſſene Anſtalt (infirmerie) die Behandlung der Kranken überwacht, das Maß der von ihnen zu for— dernden Arbeit normiert und ſie, ſobald und ſolange es aus irgend welchen Gründen nötig wird, aufnimmt. Eine Nachahmung dieſes Syſtems iſt offenbar nur in einer ſpezifiſchen Ackerbaubevölkerung möglich und ſcheitert auch dort, wenn nicht eine eigentümliche Be- fähigung vorhanden iſt. In Schottland hat man 30—40 Proz. aller Irren in Familienpflege gegeben, und in Ellen (Bremen) beſteht ſeit 1779 eine ähnliche Einrichtung. Auch die Staatsanſtalt Illenau in Ba⸗ den bedient ſich der Familienpflege gleichſam als bergang zur völligen Entlaſſung der Rekonvales— zenten. Bei dem Syſtem der agrikolen Kolonie, zuerſt 1847 von der Privatirrenanſtalt der Gebrüder Labitte in Clermont ausgeführt, werden ruhige, un⸗ gefährliche Kranke auf einem Okonomiehof unter- gebracht und bei dem größten Maß von Freiheit mit landwirtſchaftlichen Arbeiten beſchäftigt. Sicherheits vorrichtungen werden durchaus vermieden, die Ko- lonie ſteht aber mit einer geſchloſſenen Anſtalt in Verbindung, in welche Irre mit akuten Aufregungen und körperlichen Krankheiten ſofort zurückverſetzt werden. Dies Syſtem hat in Einum (Hannover), Zſchadraß (Sachſen), Alt-Scherbitz bei Schkeuditz (Prov. Sachſen) Anwendung gefunden und ſehr gün⸗ ſtige Reſultate ergeben. Für durchaus ruhige, un— gefährliche Irre, die bei ſiechem Körperzuſtand nicht mehr arbeitsfähig find, hat man Irrenſiechen— häuſer gebaut, bei welchen die koſtſpielige Einrich- tung der eigentlichen J. fortfällt. Beſondere Schwie— rigkeiten bietet die Unterbringung der irren Ver- brecher, gegen deren Aufnahme ſowohl die J. als die Zuchthäuſer proteſtieren. In Irland beſteht ſeit 1850 eine Anſtalt für irre Verbrecher in Dundram, welche 150 — 200 Inſaſſen, darunter ca. 50 Mörder, enthält. Die 1873 errichtete (einzige deutſche?) Heil⸗
Simulationen in derſelben ſich bedeutend vermehren; endlich daß in der Mehrzahl der Fälle die Geneſungen der Neuerkrankten in der Irrenabteilung des Zucht— hauſes ebenſogut zu ermöglichen find wie in J., daß aber in vielen Fällen der fortgeſetzte Aufenthalt im Zuchthaus die Geneſung beeinträchtigt, indem die Halluzinationen geſteigert, die Wahnideen befeſtigt werden. Als beſondere Form der J. ſind noch die pſychiatriſchen Kliniken an den Univerſitäten zu nennen, welche aus dem dringenden Bedürfnis und dem gerechtfertigten Beſtreben, die Arzte mehr, als früher geſchehen konnte, in der Pſychiatrie zu belehren, hervorgegangen find. Allgemeine Anerfen- nung haben in neueſter Zeit die Heilanſtalten für Nervenkranke gefunden, welche die Behandlung aller chroniſchen Neuroſen und leichten beginnenden Pſychoſen, die noch nicht in die J. gehören, übernehmen.
Die bei weitem größte Zahl der J. find Staats⸗ oder öffentliche Anſtalten, errichtet von der Staats- regierung, von Provinzialverbänden (Ständen) und größern Kommunen. Dieſen gegenüber ſtehen die Bri- vatirrenanſtalten, gegründet von einzelnen Perſonen oder von Genoſſenſchaften, welche ſich der Kranken— pflege widmen. Dieſe letztern Anſtalten bedürfen einer Konzeſſion von der Verwaltungsbehörde und ſtehen wie die öffentlichen unter der Kontrolle der höhern Ver— waltungsbehörde. Die Statiſtik der Geiſteskrankhei— ten weiſt eine bedeutende Vermehrung der Irren nach, ganz beſonders ſtark aber iſt die Zahl der in J. Heilung Suchenden angewachſen und zwar aus dem einfachen Grund, weil ſich die überzeugung immer allgemeiner Bahn gebrochen hat, daß die Irren in den in neuerer Zeit ſo ſehr vervollkommten J. viel mehr Ausſicht auf Heilung haben als bei der ſorgſamſten Pflege in der eignen Familie. In Frankreich ſtieg die Bevölkerungs— ziffer von 1836 bis 1861 um 9,47, die Zahl der in J. befindlichen Kranken um 172 Proz., in England ſteht einer Bevölkerungszunahme von 45 Proz. (1844 — 1878) eine Zunahme der Irren in den Anſtalten von 250 Proz. gegenüber. In Preußen ergab die Sta: tiſtik folgende Zahlen:
1871 1880 Geiſteskranke überhaupt . . . .- . 55043 66345 Auf 1000 Einwohner Geiftesfranfe . 22,4 24,3 Geiſteskranke in ‚Srrenanftalten 11760 18894 Von 1000 Irren find in Anſtalten . 214 28,5
Am 1. Jan. 1885 waren 23,547 Geiſteskranke in J. untergebracht. Weitere Angaben ſ. im Art. Geiſtes⸗ krankheiten. Vgl. Damerow, Die relative Ver⸗ bindung der Irrenheil- und Pflegeanſtalten (Leipz. 1840); Brandes, Die Irrenkolonien (Hannov. 1865); Erlenmeyer, überſicht der öffentlichen und pri— vaten Irren- und Idiotenanſtalten in Deutſchland und Oſterreich (2. Aufl., Neuwied 1875 —- 76); Der: ſelbe, überſicht der ſchweizeriſchen Irren- u. Idioten⸗ anſtalten (4. Aufl., daſ. 1877); Derſelbe, Die freie Behandlung der Irren in detachierten Kolonien (daſ. 1869), Ruedy, Gheel, oder Kolonie und Aſyl (Bern 1874), und andre Schriften über Gheel (1. d.) Lähr, Die Heil- und Pflegeanſtalten für Pſychiſch⸗ Kranke des deutſchen Sprachgebiets (2. Aufl., Berl. 1882); Guttſtadt, Krankenhaus-Lexikon für das Königreich Preußen (daſ. 1886).
anſtalt für irre Verbrecher in Waldheim (Sachſen) > gelangte zu dem Ergebnis, daß die größere Mehrzahl der irren Verbrecher recht gut in gewöhnlichen J. hätte verpflegt werden können; daß die Zahl der⸗ jenigen, die beſonders ſtrenger Beaufſichtigung be⸗
Irreparäbel( lat.), unwiederherſtellbar, unerſetzlich; irreparabile tempus, die unwiederbringliche Zeit.
Irreſein, allgemein jede Form von Geiſteskrank⸗ heit (ſ. d.). N
Irreſiſtibel (neulat.), unwiderſtehlich.
Dürfen und alſo beſſer ins Zuchthaus gehören, äußerft | Irreſolüt (neulat.), unentſchloſſen, unſchlüſſig. gering war; daß ferner eine ſolche Jrrenabteilung | Irreſpiräbel (ſpätlat.), zum Einatmen ungeeignet, 2 für ein Zuchthaus eine große Laſt iſt, und daß die | bezeichnet ſowohl ſolche Gaſe oder Luftarten, welche
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an ſich unschädlich find, aber den für die Erneuerung des Bluts notwendigen Sauerſtoff nicht enthalten (Stickſtoff, Waſſerſtoff, Grubengas), als ſolche, welche eingeatmet werden können, aber giftig ſind (Kohlen— ſäure, Schwefelwaſſerſtoff), und endlich ſolche, welche i. im engern Sinn ſind, da ſie nicht eingeatmet wer— den können, weil fie krampfhaftes Huſten und Ver: ſchluß der Stimmritze bedingen (Chlor, Salpeter: ſäuredämpfe, Bromdämpfe).
Irreſponſäbel (neulat.), unverantwortlich.
Irrevokäbel (lat.), unwiderruflich.
Irridieren (lat.), verlachen, verſpotten, verhöhnen; Irriſion, Verſpottung; irriſoriſch, verſpottend. Irrigation (lat.), Anfeuchtung, Bewäſſerung.
Irrigätor (lat., »Beſpüler«), Apparat zur Ab: ſpülung und Reinigung eiternder Wundflächen, wie er beim täglichen Verband der Wunden ganz all— gemein benutzt wird. Die einfachſte Form desſelben beſteht in einem Gefäß von Zink-, Eiſen- oder Meſ⸗ ſingblech pon beliebiger Größe, das nahe ſeinem Bo— den eine Offnung mit einem kurzen Anſatzrohr zum Aufſtecken einer Gummiröhre von mehreren Metern Länge beſitzt, auf deren andres, freies Ende ein eben— falls durchbohrtes Endſtück von Knochen, Hartgummi od. dgl. aufgeſteckt wird. Vorteilhaft verſieht man das Kautſchukrohr mit einem Quetſchhahn. Beim Ge- brauch wird das mit Waſſer gefüllte Gefäß von einem Gehilfen in die Höhe gehalten, während der Arzt das Endſtück ſo leitet, daß der hervordringende Waſſer— ſtrahl die beabſichtigte Stelle trifft. Zweckmäßig findet der J. auch zum Ausſpülen der Naſe, des Magens, der Blaſe, der Scheide (Naſen-, Magen-, Gebärmutterdouche) und zur Beibringung von Kly— ſtieren Verwendung.
Irritabilität (lat.), ſ. Reizbarkeit.
Irritantia (sc. remedia, lat.), »reizende« Mittel und Einflüſſe, namentlich ſolche, welche insbeſondere die Thätigkeitsäußerungen des Gefäß- und Muskel⸗ ſyſtems erhöhen, während die Excitantia, die erregen— den Mittel, beſonders die ſenſibeln Nerven zu größe— rer Thätigkeit anregen.
Irritieren (lat.), reizen, aufreizen, ärgern; in der Volksſprache (unter Anlehnung an »irre«) ſ. v. w. be⸗ irren, irre machen; Irritation, An-, Aufreizung ꝛc.
Irrlehre, eine Lehre, die einer beſtimmten Kirchen— gemeinſchaft verwerflich erſcheint, weil ſie mit ihren geheiligten Satzungen in Widerſpruch ſteht.
Irrlichter (Irrwiſche, Ignes fat), Lichter oder Flammen von verſchiedener Größe, welche man bis— weilen auf Wieſen, ſumpfigen Stellen, Kirchhöfen 2c. erblickt haben will. Alle ältern Nachrichten über J. ſind ſo unbeſtimmt, daß man ihre Exiſtenz überhaupt geleugnet hat. Und jedenfalls hat ſehr oft eine über: reizte Phantaſie mehr geſehen, als in der That vor— handen war. Dazu kommt, daß faules, leuchtendes Holz oder das Johanniswürmchen (Lampyris nocti- luca) recht gut für ein Irrlicht gehalten werden kann; ja, ein neuerer Beobachter hat bei »unzweifelhaften« Irrlichtern die dieſelben veranlaſſenden Johannis— würmchen eingefangen. Wenn man aber alle unſiche— ren Beobachtungen unberückſichtigt läßt, ſo liegen doch ſo viele zuverläſſige Berichte, z. B. von dem Aſtro— nomen Beſſel, vom Profeſſor Knorr in Kiew, Direk— tor Richter in Saalfeld u. a., vor, daß man die That— ſache der Erſcheinung nicht wohl bezweifeln kann. Die Berichte enthalten aber ſo viel Rätſelhaftes, daß es durchaus unmöglich erſcheint, die verſchiedenen Er— ſcheinungen miteinander zu vereinbaren. I. ſind ſtets auf ſolchem Boden beobachtet worden, der viele orga— niſche Subſtanzen enthält; ſie hängen alſo vielleicht
Irreſponſabel — Irrtum.
mit der Fäulnis zuſammen. Bei dieſem Prozeß ent⸗ wickelt ſich Phosphorwaſſerſtoff, ein Gas, welches ſich an der Luft von ſelbſt entzündet, und man hat daher die J. einfach für Blaſen von Phosphorwaſſerſtoff halten wollen. Dies iſt aber jedenfalls unrichtig, denn das fragliche Gas verbrennt mit rene weißer Flamme und gibt einen weißen Rauch; auch iſt dabei ein eigentümlicher Geruch zu bemerken. Gerade die beſten Beobachtungen über J. wiſſen aber nichts von Geruch und Rauch, und noch niemals iſt behauptet worden, daß J. intenſiv weiß ſeien, ſondern ihre Farbe iſt ſtets ſchwach bläulich, gelblich, rötlich, grün⸗ lich. Will man ſie von brennendem Kohlenwaſſer⸗ ſtoffgas herleiten, ſo iſt nicht zu erklären, wodurch ſich dasſelbe entzündet haben könnte. Sehr gute Be⸗ obachtungen ſtellen es aber ſehr in Frage, ob die J. wirklich brennendes Gas ſeien. Liſt (1859 im Fulda⸗ thal) bemerkte keine Wärme, obwohl er die Hand in ein Irrlicht hineinſteckte; auch das Irrlicht des Profeſ⸗ ſors Knorr erwärmte einen hineingehaltenen meſſing⸗ beſchlagenen Stock nicht; ein andrer will aber Werg am Irrlicht entzündet haben. Liſt hörte bei der Entſtehung eines Irrlichts einen ſchwachen Knall; bei Knorr ſteht die Flamme ganz ruhig, und ſelbſt künſtlicher Luftzug hat keinen Einfluß auf ſie; bei Liſt bewegt ſie ſich auch nicht, aber der wie Luft: zug bringt fie zum Erlöſchen; bei Tſchudi ſchwankt die größte Flamme bald links, bald rechts, ſteigt und ſinkt, doch erfahren wir nicht, ob das untere Ende der Flamme an derſelben Stelle bleibt und nur das obere Ende hin- und hergeweht wird. Dies würde auf ein aus dem Boden ſich entwickelndes Gas hin⸗ deuten. Sit letzteres die Urſache der J., jo können die⸗ ſelben nicht hüpfen, ebenſowenig, wie die Flamme von einem Lampendocht ſich entfernen kann. Wenn aber plötzlich ein Irrlicht erliſcht und in demſelben Moment in einiger Entfernung ein andres aufleuch⸗ tet, ſo kann dies für ein Hüpfen gehalten werden. Von dem angeblichen Hüpfen, Wandern haben übri⸗ gens die J. ihren Namen. Der Volksaberglaube hält die J. (Tückbolde, Lüchtemännekens), welche die Menſchen verlocken, für die Seelen ungetauft ge⸗ ſtorbener Kinder.
Irrſinn, ſ. v. w. Irrwahn; in vorübergehendes Delirieren (f. Irrſtern, ſ. v. w. Komet.
Irrtum, jedes falſche Urteil, inſofern es durch den Schein (species veri) für wahr gehalten wird. Der J. iſt entweder ein formaler, inſofern das Urteil den Geſetzen des Denkens, oder ein realer, mate- rieller, inſofern dasſelbe der Natur des Gegen⸗ ſtandes widerſpricht. Jener wird durch genaue Kennt⸗ nis und richtige Anwendung der Denkgeſetze, dieſer durch beſonnene Prüfung und unparteiiſche Unter⸗ ſuchung vermieden. In der Rechtswiſſenſchaft ver⸗ ſteht man unter J. (error) nicht nur das Falſchwiſſen, ſondern auch das Nichtwiſſen (ignorantia), indem es rechtlich von derſelben Wirkung iſt, ob man von einer Thatſache gar keine oder eine falſche Vorſtellung hat. Der J. findet aber im Rechtsleben nur dann Berück⸗ ſichtigung, wenn er ein entſchuldbarer iſt, und zwar gilt der faktiſche J., der J. über Thatſachen (error facti), regelmäßig als entſchuldbar, während der Rechtsirrtum (error juris) der Regel nach nicht entſchuldigt wird, da jeder Bürger das Recht ſeines Staats kennen oder ſich doch darüber vergewiſſern ſoll (ignorantia nocet). Nur ausnahmsweiſe wird im gemeinen Rechte der Rechtsirrtum Minderjährigen, Soldaten und in gewiſſen Fällen auch Frauen und gänzlich ungebildeten Perſonen verziehen. Nicht zu
iebern ein leichtes, elirium).
Irrumpieren — Irving.
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verwechſeln iſt aber damit der Fall des ſogen. we- welche der Koſak Jermak erſtürmte, und nach welcher
ſentlichen Irrtums (error essentialis) beim Ab⸗ ſchluß von Rechtsgeſchäften. Befindet ſich nämlich ein Kontrahent über einen weſentlichen Umſtand des Vertrags, z. B. über die Identität der Ware beim Abſchluß eines Kaufs, in Unkenntnis, ſo gilt das ganze Geſchäft, reſp. der Vertrag als nicht abgeſchloſ— ſen; denn was man nicht weiß, kann man auch nicht wollen. Es ſind dies die Fälle, in welchen Savigny von einem ſogen. uneigentlichen J. ſpricht, da hier der J. eigentlich nur Beweismoment für den fehlenden Willen ſei. Dies iſt die Bedeutung des Rechtsſprich⸗ worts: errantis non est voluntas (beim J. iſt der Wille ausgeſchloſſen). Auch in ſtrafrechtlicher Be⸗ ziehung wird der Rechtsirrtum, die Unkenntnis ſtraf— rechtlicher Beſtimmungen oder einzelner Strafandro— hungen, von dem Strafrichter nicht berückſichtigt. Dagegen kann der faktiſche J. unter Umſtänden von Bedeutung werden. Es gehört hierher namentlich die Beſtimmung des deutſchen Reichsſtrafgeſetzbuchs ($ 59), wonach, wenn jemand bei Begehung einer ſtrafbaren Handlung das Vorhandenſein von That⸗ umſtänden nicht kannte, welche zum geſetzlichen That: beſtand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, ihm dieſe Umſtände nicht zugerechnet werden ſollen. Wenn alſo z. B. ein Unverheirateter mit einer Ehefrau den Beiſchlaf vollzieht, ohne zu wiſſen, daß dieſe Frauens— perſon verheiratet iſt, jo kann er nicht wegen Che: bruchs beſtraft werden. Handelt es ſich jedoch um fahrläſſige Vergehen, ſo ſoll jene Beſtimmung nur dann Platz greifen, wenn dieſe Unkenntnis ſelbſt nicht durch Fahrläſſigkeit verſchuldet war. Vgl. außer den Lehrbüchern des römiſchen Rechts und des Straf: rechts Zitelmann, J. u. Rechtsgeſchäft (Leipz. 1879).
rrumpieren (lat.), in feindlicher Abſicht in ein Land einbrechen; Irruption, Einbruch.
Irrwahn, ſ. Delirium und Manie.
Irrwiſch, ſ. v. w. Irrlicht.
Irſee, Flecken im bayr. Regierungsbezirk Schwa— ben, Bezirksamt Kaufbeuren, an der Wertach, hat eine kath. Pfarrkirche, eine Oberförſterei, eine Kreis— irrenanſtalt im ehemaligen Benediktinerkloſter, eine Braunkohlengrube und (1885) 1045 meiſt kath. Einw.
Irtiſch (Irtyſch), Fluß in Weſtſibirien, entſpringt auf chineſiſchem Gebiet als Schwarzer J. am Oſt⸗ ende des Altai, durchfließt, in nordweſtlicher Rich— tung ſtrömend, den Saiſanſee, bricht dann durch den weſtlichen Altai in einer wilden Bergſchlucht, tritt bei Uſtkamenogorsk in die weiten Steppen Sibiriens (links die Kirgiſen-, rechts die Barabaſteppe) und mündet unterhalb Tobolsk bei Samarow links in den Ob, 1830 m breit. Sein Lauf wird zu 2600 km, fein Stromgebiet zu 1,676,000 qkm (30,440 QM.) berechnet. Von Anfang November bis Ende April friert der J. zu, dann erſetzt die Schlittenfahrt die ſonſt von Semipalatinsk abwärts betriebene Dampf: ſchiffahrt. Letztere erſcheint nach den 1880 gemachten Unterſuchungen ſogar bis zum Saiſanſee möglich. Die Ufer des J. ſind ziemlich dicht bewohnt, und der Fluß leiſtet dem Verkehr zwiſchen den Städten und den zahlreichen Etabliſſements der Montaninduſtrie an ſeinen Ufern die weſentlichſten Dienſte. Seine Gewäſſer ſind ſehr fiſchreich; von Omsk bis zum Saiſanſee gehören die Fiſchereigerechtſame den Ko⸗ ſaken. Die wichtigſten Zuflüſſe des J. ſind rechts: die Buchtarma, der Om, Tara; links: der Iſchim, Tobol, Konda. Am untern J. ſind Semipalatinsk, im mittlern Lauf Omsk, im obern Tobolsk Handels— und Regierungsmittelpunkte. Oberhalb Tobolsk, am kleinen Sibirkabach, ſtand einſt die Zarenburg Sibir,
das ganze Land den Namen erhielt.
Irun, Stadt in der ſpan. Provinz Guipuzcoa, an der Bidaſſoa, dem franzöſiſchen Ort Hendaye gegen— über, Endſtation der von Madrid kommenden Eiſen— bahn, an die ſich hier die franzöſiſche Südbahn an— ſchließt, hat eine ſchöne Kirche, eine Mineralquelle, (1878) 7040 Einw., Maisbau, Eiſenbergwerk, Ziege: leien und Gerbereien. %.ift Sitz eines deutſchen Kon— ſuls. Südlich von J. erhebt ſich der ausſichtsreiche Berg La Haya (987 m), öſtlich der Hügel San Mar⸗ cial, der Schauplatz blutiger Kämpfe zwiſchen den Franzoſen und den Spaniern ſowie zwiſchen den Karliſten und den königlichen Truppen.
Irvine (ſpr. irrwin), Hafenſtadt im nördlichen Ayr- ſhire (Schottland), mit bedeutender Kohlenausfuhr und (1881) 8517 Einw.
Irving, 1) Waſhington, nordamerikan. Schrift⸗ ſteller, geb. 3. April 1783 zu New Pork, wo ſich ſein aus Schottland ſtammender Vater als Kaufmann niedergelaſſen hatte, begann 1800 auf dem Columbia College daſelbſt das Studium der Rechte, gab es aber aus Geſundheitsrückſichten wieder auf und bereiſte zwei Jahre lang das weſtliche Europa. Nach ſeiner Rückkehr nahm er ſeine Studien wieder auf; aber weder ſie noch das kaufmänniſche Geſchäft, welches er ſpäter in Verbindung mit ſeinen Brüdern betrieb, ſagten ihm zu. Als 1812 der Krieg mit England ausbrach, übernahm er daher unter dem amerikani⸗ ſchen General Tompkins die Stelle eines Adjutanten. Nach dem Eintritt der Waffenruhe ging er wieder an ſein Handelsgeſchäft, büßte aber durch dasſelbe ſein ganzes Vermögen ein. Nun warf er ſich auf das Feld der Litteratur und verarbeitete den 1815 auf einer Handelsreiſe nach England geſammelten Stoff in ſeinem Sketchbook of Geoffrey Crayon« (Lond. u. New Pork 1820, 2 Bde.). Schon früher war er der Leſerwelt durch die »Letters of Jonathan OListyle (enthalten in der von ſeinem ältern Bruder zu New York herausgegebenen Zeitſchrift Morning Chro- niclee, ſpäter geſammelt und von Spiker, Berl. 1824, ins Deutſche überſetzt), durch die Herausgabe des humoriſtiſchen Blattes Salmagundi« (zum Teil ab⸗ gedruckt unter dem Titel: »Salmagundi, or the whimwams and opinions of Lancelot Longstaff and others«, Lond. 1823, 2 Bde.) und durch die Hu- morous history of New York by Dietrich Knicker- bocker« bekannt geworden. Er beſuchte Europa abermals und ſchrieb in Paris die »Bracebridge- Hall, or the humorists« (Lond. 1823, 2 Bde.). Den Sommer 1822 brachte er in den Rheingegenden zu, hielt ſich ſodann längere Zeit in Prag und Dresden auf und ging 1824 nach England, wo er ſeine Tales of a traveller« (Lond. 1824, 2 Bde.; deutſch, Berl. 1825) veröffentlichte. Nach einer kurzen Reiſe in Südfrankreich begab er ſich 1825 nach Spanien, wo er im Escorial die auf die Entdeckung Amerikas be: züglichen Handſchriften und Bücher durchforſchte und ſich während eines vierjährigen Aufenthalts eine genaue Kenntnis der ſpaniſchen Sitten und Gebräuche erwarb. Die Früchte dieſes Studiums ſind ſowohl die hiſtoriſchen Arbeiten: Histoxy of the life and voyages of Christopher Columbus (Lond. 1828-30, 4 Bde.), die »Voyages and discoveries of the com- panions of Columbus“ (daſ. 1831) und die aus Handſchriften des Antonio Agapida und ſpaniſchen Chroniken zuſammengetragene Schrift Chronicle of the conquest of Granada, (daſ. 1829, 2 Bde.), als auch die ſpäter aus Enthuſiasmus für die Glanz⸗ periode der Araber in Spanien, für ihre Sitten und
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Märchen geſchriebene Alhambra« (daſ. 1832, 2 Bde.). Letzteres Werk verfaßte er als Sekretär der amerika— niſchen Geſandtſchaft zu London, wohin er von Spa— nien aus gegangen war. Von 1832 an lebte J. wieder in Waſhington, von wo er wiederholt Reiſen nach dem noch unkultivierten Weſten unternahm, bis er 1841 zum Geſandten der Vereinigten Staaten am ſpaniſchen Hof ernannt wurde. Nachdem er durch Teſtament eines ihm unbekannten Mannes 1843 ein beträchtliches Vermögen geerbt, legte er 1846 ſeinen Geſandtſchaftspoſten nieder und zog ſich auf ſeinen Landſitz Sunnyſide in der Nähe von New Pork zu: rück, wo er 28. Nov. 1859 ſtarb. Seine ſpätern Schriften find: Miscellauies« (Lond. 1835 —36), enthaltend: »A tour on the prairies«, Abbotsford and New- stead-Abbey« und »Legends of the conquest of Spain«; ferner »Astoria, or the enterprise beyond the Rocky Mountains (daſ. 1836, 3 Bde.); »Adven- tures of Captain Bonneville« (daſ. 1837, 3 Bde.); »History of Mahomet and his successors« (daſ. 1849 — 50, 2 Bde.; deutſch, Leipz. 1850), ein Werk, welches ſich weniger durch Tiefe der Forſchung als durch eleganten Stil und lichtvolle Darſtellung aus— zeichnet; »Oliver Goldsmith« (Lond. 1849; deutſch, Berl. 1858), eine der anmutigſten Biographien, die je geſchrieben worden, und Lite of George Wash- ington« (New Pork 1855 — 59, 5 Bde.; deutſch, Leipz. 1855—59). Geſamtausgaben feiner Werke erſchienen New Pork 1848 — 50, 15 Bde.; London 1851, 10 Bde.; New Pork 1882, 27 Bde. (Jubiläumsausgabe, zur 100jährigen Geburtstagsfeier des Dichters veran— ſtaltet), und New York 1886, 9 Bde. Deutſch er- ſchienen die »Sämtlichen Werke, überſetzt von Meh⸗ reren (Frankf. 1826 - 37, 74 Bde.); in Auswahl von Adrian (2. Aufl., daſ. 1847, 4 Tle.); eine andre Aus⸗ wahl (Leipz. 1856), illuſtriert von Ritter und Camp⸗ hauſen. Irvings Leiſtungen zeichnen ſich durch an— ſprechende Darſtellung, Friſche und Gewandtheit der Schreibweiſe aus. Er iſt kein ſchöpferiſches Talent; wohl aber weiß er Dargebotenes geſchickt zu verarbeiten und hat aus allen Ländern, welche er beſuchte, ſich etwas angeeignet. Tiefe Blicke in die menſchliche Seele ſind nicht in Irvings Schriften zu finden, wohl aber intereſſante pſychologiſche Bemerkungen; ebenſo werden wohl die verkehrten Neigungen belächelt, nie aber die ſtarken Leidenſchaften von ihm heraufbe— ſchworen. Vgl. Pierre Irving, Life and letters of Washington J. (Lond. 186264, 4 Bde.; neue Ausg. 1883, 3 Bde.); Laun, Waſhington J., ein Lebens- und Charakterbild (Berl. 1870, 2 Bde.); Hill, Wash- ington I. (New York 1879); Warner, Bryant und Putnam, Studies of I. (daſ. 1880); Warner, W. I. (Boſton 1881).
2) Henry, berühmter engl. Schauſpieler, geb. 6. Febr. 1838 zu Keinton bei Glaſtonbury, wurde in einer Londoner Schule erzogen, betrat 1856 zuerſt die Bretter und ſpielte zunächſt in kürzern Engagements in Edinburg und auf größern Bühnen in Glas— gow, Mancheſter und London. 1866 ſpielte er auf Veranlaſſung des Dichters zuerſt die Rolle des Spie— lers Rawdon Seudamore in Boucicaults Hunted down« und betrat damit ſein eigentliches Gebiet, auf dem er ſeitdem ſich auszeichnet, das der Dar— ſtellung von Böſewichtern und diaboliſchen Charak— teren. Er nahm zunächſt ein Engagement am St. James-Theater an, dann ſpielte er am Queens— theater, 1870 im Vaudevilletheater, wo er in 300 Wiederholungen von Alberys Two roses« auftrat, und ſtellte 1871 ſeine Kräfte dauernd in den Dienſt des Lyceumtheaters, das hierdurch zum wichtigſten |.
Irving — Irvingianer.
Theater Londons erhoben ward. An dieſem Theater, in welchem er zunächſt einige hundert Male durch die Darſtellung eines Mörders in dem Volksſtück »The Bells« Senſation erregte, krͤierte er die Rollen des Hamlet (1874), des Macbeth (1875), des Othello (1876) und Richards III. (1877) und erwarb ſich durch ſeine Leiſtungen als Darſteller Shakeſpeare⸗ ſcher Charaktere den Ruf des erſten engliſchen Tra⸗ göden der Gegenwart. Vgl. Archer, Henry I., actor and manager (Lond. 1885).
3) Edward, engl. Geiſtlicher, Begründer der nach ihm benannten Sekte, ſ. Irvingianer.
Irvingianer (Irvingiten), nach ihrem Begrün⸗ der, dem engliſchen Geiſtlichen Irving, benannte re- ligiöſe Sekte, welche die baldige Wiederkunft Chriſti erwartet und durch Erneuerung der apoſtoliſchen Ein- richtungen darauf vorbereiten will.
Edward Irving, geb. 15. Aug. 1792 zu Annan
in der ſchottiſchen Grafſchaft Dumfries, ſtudierte zu
Edinburg Theologie, wurde 1812 Direktor einer höhern Lehranſtalt zu Kirkealdy, 1819 Hilfsprediger des be⸗ rühmten Dr. Chalmers an der St. Johanniskirche in Glasgow u. 1822 Prediger an der kaledoniſchen Kirche in London. Bald überwog das phantaſtiſche Element feiner religiös erregbaren Natur den nüchternen Ge⸗ danken völlig; die bibliſchen Apokalypſen gaben die Texte zu Predigten, in denen er das Jüngſte Gericht als nahe bevorſtehend ankündigte und den geprie⸗ ſenen Fortſchritt des Geiſtes als Teufelswerk ver⸗ dammte. Ueberdies tauchte 1827 die Anklage auf, daß Irving abweichend von der Kirchenlehre lehre, Chriſtus habe die menſchliche Natur in ihrem »ge⸗ fallenen« Zuſtand angenommen, und jeit 1828 be⸗ ſtätigten mehrere Veröffentlichungen dieſe Beſchuldi⸗ gung. Im folgenden Jahr beſuchte Irving Schottland, ward aber dort von der eben in Edinburg verſam⸗ melten Generalſynode, in die er als Mitglied des Presbyteriums von Annan einzutreten befugt war, als Irrlehrer zurückgewieſen. Gleichwohl predigte er in Edinburg mehrere Wochen hindurch täglich und ſchritt zur Behauptung einer der Kirche als ſolcher immer noch innewohnenden Kraft, Zeichen und Wun- der zu thun, fort, welche derſelben nie entzogen, ſon⸗ dern nur infolge ihres Unglaubens ſiſtiert geweſen ſei; der Zuſtand der apoſtoliſchen Kirche könne zu— rückgebracht werden, wenn die Kirchengemeinde zu dem wahren Glauben zurückkehre und mit dem Hei: ligen Geiſt getauft werde. Dieſe bevorſtehende Neu- ausgießung des Heiligen Geiſtes predigte er fortan und ſuchte dieſelbe in einem eignen Verein von Jüngern herbeizubeten. Sie »ſchrieen mächtig zu Gott Tag und Nacht«, führten eigne Morgen- und Abendandachten ein, und in dieſem Zuſtand der Exaltation kam es ſchon 1830 zu Auftritten, an wel⸗ chen Irving das Zungenreden, Weisſagen und Wun⸗ derheilen der erſten Chriſten wieder zu erkennen glaubte. Während Irving das feinen Hausgottes— dienſt ſchließende Gebet ſprach, unterbrach zuweilen eine Dame oder auch ein Herr plötzlich den Betenden durch fremdartige und unverſtändliche Laute, die aber mit außerordentlicher Schärfe der Betonung ausge— ſtoßen wurden, und woran ſich ſodann erregte Er— mahnungen zur Vorbereitung auf den Tag des Ge-
richts knüpften. Als ſich bald dieſelben Stimmen
auch während des öffentlichen Gottesdienſtes ver— nehmen ließen, geſtand Irving unumwunden, daß es der Heilige Geiſt ſei, der ſich auf ſolche Weiſe ver— nehmen laſſe. Gegen dieſe Prätenſionen erhob ſich natürlich die kirchliche Welt, und die eignen Kirchen⸗ vorſteher verſchloſſen ihm 1832 die Kirche. Dafür
Irwell — Iſaak.
richtete ſich die Sekte in Newman Street ein Lokal für ihre Gottesdienſte ein. Vor das Presbyterium von Annan auf 23. März 1833 geladen, replizierte Irving, daß man nicht ihn, ſondern den Heiligen Geiſt anklage. Von der ſchottiſchen Kirche ausge— ſtoßen, lebte er nun ganz der unabhängigen Ge— noſſenſchaft, die ſich in London um ihn ſammelte. Hier ſchuf er eine Menge Amter mit Namen, die der apoſtoliſchen Zeit entnommen waren, und traf die Anordnung, daß die geſamte Jugend ſeiner Ge— meinde, Knaben und Mädchen, in dem Schiff der Kirche in einem amphitheatraliſch ſich erhebenden Chor vereinigt um ihn herum zu ſitzen kam, ſo daß er auf ſeinem erhabenen Stuhl, nach allen Seiten von jugendlichen Geſichtern umgeben, wie ein Hei— liger erſchien. Aber die fortwährenden Angriffe auf ihn hatten ſeine Geſundheit untergraben; er ſtarb 7. Dez. 1834 in Glasgow, wohin er ſich aus Geſund— heitsrückſichten begeben hatte. Irvings »Collected writings« gab Gavin Carlyle heraus (Lond. 1865, 5 Bde.). Seine Biographie ſchrieben Wilks (Lond. 1860) und Mrs. Oliphant (3. Aufl., daſ. 1865). Vgl. auch »Bruchſtücke aus dem Leben und den Schriften Edward Irvings«, herausgegeben von Hohl (2. Aufl., St. Gallen 1850).
Bei Irvings Tod ward feine Lehre allein in Lon⸗ don ſchon in ſieben Kapellen verkündigt. Der Mut⸗ terſitz der Irvingianer oder Irvingiten ward Albury, eine Beſitzung Sir Henry Drummonds, eines Londoner Bankiers, von dem ſchon Irving unterſtützt worden war. Die zwölf Apoſtel konſti— tuierten ſich 1835, teilten die Erde in zwölf Mij- ſionsbezirke für ſich ein und überreichten 1836 dem König eine Denkſchrift über ihre Tendenzen; ihnen untergeordnet ſind die Propheten, Evangeliſten und Hirten als allgemeine Kirchenämter, die Engel, Alte⸗ ſten, Prieſter und Diakonen als Gemeindeämter. Zu dieſer ſtreng gegliederten und unter Entfaltung von großem Pomp fungierenden Hierarchie geſellt ſich die buchſtäbliche Anwendung der altteſtamentlichen Ty— pen, z. B. der Stiftshütte, auf die chriſtlichen Zu— ſtände, weshalb man den Irvingianismus auch als Anglo⸗Judaismus bezeichnet hat. Auch das Abend— mah wird als Opfer aufgefaßt, aber nicht im rö⸗ miſch⸗katholiſchen Sinn. Im übrigen ruht das ganze Lehrgebäude auf apokalyptiſcher Baſis. Die prote— ſtantiſchen Kirchen nicht weniger als die römiſch— katholiſchen ſind in dem Zuſtand Babylons; wer ſich von dieſer babyloniſchen Verbindung trennt und un: ter die Leitung des Heiligen Geiſtes ſtellt, hat die Ausſicht, vor dem bevorſtehenden Gericht in die Luft entrückt und gerettet zu werden. Sobald ſich die Kirche ſo weit gereinigt hat, um ihren Bräutigam würdig empfangen zu können, erfolgt Chriſti ſicht— bare Wiederkunft. Von England gingen 1836 die Glaubensboten nach allen Ländern Europas aus, kamen 1838, nach 1260 Tagen (vgl. Offenb. Joh. 11, 2 ff.), wieder in London zuſammen, glichen einige Differenzen aus und begannen ſodann ihre Wirk⸗ ſamkeit nach außen von neuem. In der Schweiz kon⸗ kurrierten mit ihnen die Jünger Darbys, die ſogen. Plymouthbrüder (ſ. d.), welche von ähnlichen Grundſätzen ausgehen wie die Irvingianer. Nur in Baſel, wo namentlich Caird und Woringer thätig waren, haben ſich die Irvingianer auf die Dauer be— hauptet. In Deutſchland gewann der Irvingianis⸗ mus beſonders ſeit 1848 Anhänger. In Berlin war es ein gewiſſer Charles Böhm, der Proſelyten machte. Im Mai 1848 war die neue Gemeinde zu
Berlin ſchon ſo gewachſen, daß der Apoſtel Gavin
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Carlyle (derſelbe, welcher auch den proteſtantiſchen Theologen Thierſch für den Irvingianismus er— oberte) dieſelbe in pomphafter Weiſe weihen konnte. Hohe Militärperſonen und Zivilbeamte ließen ſich für den Irvingianismus gewinnen, außerdem Geiſt— liche, wie Köppen, Schriftſteller, wie Wagener, der Redakteur der »Neuen Preußiſchen Zeitung«. Als Prophet wurde Smith aus England berufen, ein Hilfsprediger des Dompredigers v. Gerlach zum Vizeengel, ein Geheimer Obertribunalrat zum Pres- byter beſtellt. Es war der antidemokratiſche Zug des Irvingianismus, die Polemik gegen alle Ordnung, die »von untenher« ſich aufbaut, verbunden mit ro— mantiſch-⸗apokalyptiſchem Pomp und Prunk, was der Sache damals mächtigen Vorſchub leiſtete. Schon 1850 zählte die Sekte in Berlin über 500 Mitglieder und rekrutierte ſich fortwährend ſtark aus den höhern Ständen. Zu den Verfammlungen, die in einem Hintergebäude der Johannesſtraße abgehalten wur— den, war der Zutritt aber nur dem geſtattet, der durch ein Gemeindeglied eingeführt wurde. Von Berlin gingen Sendboten namentlich nach Schleſien, wo Liegnitz ein Hauptherd der Sekte wurde. Auch in Königsberg, Poſen, Magdeburg, Roſtock und an⸗ dern Städten entſtanden Irvingianergemeinden; 1871 wurden in Preußen 1710 Irvingianer gezählt. Selbſt unter der katholiſchen Bevölkerung in der Um: gegend von Augsburg fand der Irvingianismus Ein⸗ gang, bis 1857 das biſchöfliche Ordinariat ſämtliche Bekenner desſelben, namentlich deren Haupt, den Prieſter Lutz in Oberroth, exkommunizierte. Auch in Württemberg und in Kurheſſen, hier durch H. W. Thierſch (ſ. d.), fand die Sekte Sympathien. Jetzt iſt die Sache überall im Niedergang begriffen; ſeit 1879 iſt von den zwölf Apoſteln nur einer noch am Le— ben. Vgl. außer den Schriften von Thierſch: Jacobi, Die Lehre der Irvingiten (2. Aufl., Berl. 1868); Böhm, Schatten und Licht in dem gegenwärtigen Zuſtand der Kirche (Frankf. 1855); Köhler, Het Irvingisme (Haag 1876); Miller, History and doctrines of Irvingism (Lond. 1878, 2 Bde.).
Irwell, rechter Nebenfluß des Merſey (f. d.) in England, wichtig für Induſtrie und Handel des an ihm liegenden Mancheſter (ſ. d.).
Iſaak (hebr. Jizehak, »Lacher, Spötter), Sohn des Abraham, den dieſer im 100. Lebensjahr mit Sara zeugte. Er wird in den bibliſchen Relationen als Ahnherr der Edomiter und der Israeliten ge— ſchildert, und in dieſer idealen Repräſentation der Stammeseinheit beider Völkerſchaften ſcheint ſeine Bedeutung aufzugehen. In das Gebiet der Sage verweiſt ihn unter andern Bernſtein, »Urſprung der Sagen von Abraham, J. und Jakob (Berl. 1871).
Iſaak, Name zweier byzantiniſcher Kaiſer: 1) J. I., Komnenos, Sohn des unter Baſilius II. hervor: ragenden Feldherrn Manuel, zeichnete ſich als Krie— ger und Feldherr in den Kämpfen gegen die Araber in Kleinaſien aus und heiratete eine gefangene bul— gariſche Prinzeſſin. Im J. 1057 rief ihn das mit der Regierung des alten und unſelbſtändigen Kaiſers Michael VI. unzufriedene Heer in Kleinaſien zum Kaiſer aus und ſetzte ihn nach Michaels Sturz auf den Thron. J. ſicherte die Grenzen des Reichs gegen die Araber und Petſchenegen, ordnete die Finanzen, legte indes wegen Kränklichkeit ſchon 1059 die Krone nieder, die, nachdem fie fein Bruder Johann abge: lehnt hatte, auf einen Verwandten, Konſtantin X., Dukas, überging. J. zog ſich in ein Kloſter zurück, wo er 1061 ſtarb.
2) J. II., Angelos, ward nach der Entthronung
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26 des Kaiſers Andronikos Komnenos, der ihn ſelbſt hatte töten laſſen wollen, 1185 Kaiſer. Sein tapferer Feldherr Alexios Branas beſiegte in demſelben Jahr das nach der Eroberung von Theſſalonich gegen Kon— ſtantinopel heranziehende Heer des Königs Wil— helm II. von Sizilien und nötigte die Überreſte des— ſelben zur Flucht in die Heimat. J. ſelbſt führte ein elendes und verſchwenderiſches Regiment. Durch ſeine Erpreſſungen erbittert, erhoben ſich 1186 die Bulgaren und Wlachen im Norden der Balkanhalb— inſel und behaupteten ſich hinfort unabhängig. Dem Kaiſer Friedrich I., welcher 1189 auf dem dritten Kreuzzug durch ſein Reich zog, trat J., mit Saladin im Bund, feindlich entgegen; er wurde aber ge— nötigt, Frieden zu ſchließen und das Kreuzheer über den Hellespont überzuſetzen. J. wurde 1195 von ſeinem eignen Bruder Alexios vom Thron geſtoßen, auf der Flucht gefangen, geblendet und in den Kerker geworfen. Während der Belagerung von Konſtanti— nopel durch die von Iſaaks Sohn Alexios herbeige— führten Kreuzfahrer und Venezianer 1203 entfloh der Uſurpator Alexios III., und J. wurde mit ſeinem Sohn Alexios IV. zuſammen wieder auf den Thron geſetzt; beide wurden aber 1204 während der neuen Belagerung Konſtantinopels durch die Kreuzfahrer, denen ſie ihre Verſprechungen nicht hatten erfüllen können, aufs neue durch den Großdomeſtikus Alexios Murtzuphlos geſtürzt, und J. ſtarb bald darauf im Gefängnis.
Iſaak, Heinrich, Komponiſt, geboren um 1450 mutmaßlich zu Prag, hielt ſich während der 70er Jahre des 15. Jahrh. am Hof Lorenzos des Prächtigen
Iſaak —
Iſabella.
Haß gegen ihren Sohn, den Dauphin Karl, der ihr ihr ſittenloſes Leben zum Vorwurf gemacht, mit Heinrich V. von England 21. Mai 1420 den Frieden von Troyes, in dem dieſer nach ſeiner Verlobung mit Iſabeaus Tochter Katharina als Erbe und Re⸗ gent von Frankreich anerkannt wurde. Doch nach Heinrichs V. und Karls VI. Tod (1422) verlor ſie allen Einfluß und ſtarb verachtet und vergeſſen 1435.
Iſabella (ſpan. u. portug., ſ. v. w. Eliſabeth), Kö⸗ niginnen von Spanien: 1) J. von Kaſtilien, Toch⸗ ter des Königs Johann II. von Kaſtilien und Leon, geb. 22. April 1451, vermählte ſich 1469 mit Ferdi⸗ nand V., dem Katholiſchen, von Aragonien und be⸗ ſtieg nach dem Tod ihres Bruders Heinrich IV. 1474 den kaſtiliſchen Thron. Zwar erhob Johanna, die Tochter Heinrichs IV., die der Vater für illegitim er⸗ klärt, Anſpruch auf die kaſtiliſche Krone und wurde von einem Teil des Adels und von Portugal dabei unterſtützt; aber J. beſiegte dieſe Gegner, und die Schlacht von Toro 17. März 1476 ſicherte ihre Krone. J. und Ferdinand nahmen nach Vereinigung der Reiche Aragonien und Kaſtilien 1479 den Namen König und Königin von Spanien an, obwohl J. fort⸗ fuhr, die Regierungsgeſchäfte in Kaſtilien allein zu verwalten; der Papſt verlieh ihnen den Titel der »katholiſchen Königen. Um den Übermut der Gro⸗ ßen zu zügeln, führte J. die heilige Hermandad ein. Die Eroberung von Granada und die gänzliche Ver⸗ treibung der Mauren aus Spanien war großenteils ihr Werk. Ihrer Verwendung verdankte Chriſtoph Kolumbus die Unterſtützung der Krone zu ſeinem Un⸗ ternehmen, das die Entdeckung von Amerika zur Folge
(Magnifico) von Medici zu Florenz auf und wurde ſpäter in der Sängerkapelle des Kaiſers Maximilian zu Wien angeſtellt, wo er vermutlich um 1530 ge: ſtorben ift. J. iſt der erſte deutſche Komponiſt, welcher auf dem Gebiet der von den Niederländern ausge— bildeten Kontrapunktik dieſen ebenbürtig gegenüber— treten konnte. Aber nicht nur war er ihnen in allen damals blühenden Künſten des Tonſatzes gewachſen, er übertraf ſie auch an Vielſeitigkeit und Reichtum der Erfindung, da er die ſpezifiſch deutſche Gabe, ſich den Kunſtgeiſt verſchiedener Nationen zu aſſimilieren, fo gut zu verwerten wußte, daß in feinen Kompoſi⸗ tionen neben dem deutſchen Ernſt auch der Reiz der italieniſchen Melodie zur Erſcheinung gelangt. Von feinen Schülern iſt namentlich Ludwig Senfl (ſ. d.) zu hohem Ruhm gelangt. Iſaaks Werke (Meſſen, Motetten und mehrſtimmige Lieder) erſchienen in den Sammlungen von Petruceci (Vened. 1503 — 19), von Pentinger (Augsb. 1520) und von Joh. Ott (Nürnb. 1544). Sein Wanderburſchenlied Inspruck, ich muß dich laſſen- ging bald nach der Reformation mit dem Text »O Welt, ich muß dich laffen« als Choral in die evangeliſche Kirche über und wird dort noch jetzt auf den Text »Nun ruhen alle Wälder« gejungen. Iſabeau (ipr. ⸗bo, Iſabelle), Königin von Frank— reich, Tochter des Herzogs Stephan von Bayern, geb. 1371, wurde 1385 mit dem 17jährigen König Karl VI. vermählt und, als derſelbe 1392 in Wahnſinn ver: fiel, nebſt ihrem Schwager, dem Herzog von Orléans, und dem Herzog von Burgund Regentin des Reichs. Im Verein mit dem erſtern, den fie begünſtigte, be— drückte fie das Land mit großen Auflagen zur Be— friedigung ihrer Verſchwendung und Prachtliebe. Nach Orléans' Ermordung (1407) hielt fie es mit Johann von Burgund und wurde deshalb, als die Armagnaes über die Bourguignons ſiegten, 1417 nach Tours unter ſtrenge Aufſicht gebracht. Aber von Johann bald befreit, ſchloß ſie aus tödlichem
hatte. Ihr aber muß auch die Einrichtung der In⸗ quiſition beſonders zugeſchrieben werden, denn ihr kirchlicher Eifer kannte keine Grenzen. J. war eine tüchtige Regentin; verbunden mit Ferdinand, einem Realpolitiker erſten Ranges, legte ſie den Grund zur Großmacht Spanien. Sie hatte fünf Kinder, von denen drei Töchter ſie überlebten; der Tod ihres Sohns Don Juan, Prinzen von Aſturien, und ihrer älteſten Tochter, der Königin von Portugal, trübte ihre letzten Regierungsjahre. Sie ſtarb 26. Nov. 1504 in Medina del Campo. Vgl. Prescott, Geſchichte Ferdinands und Iſabellas (deutſch, Leipz. 1843, 2 Bde.); Nervo, I. la Catholique, reine d' Espagne (Par. 1874).
2) J. II. Maria Luiſe, Tochter des Königs Fer⸗ dinand VII. und deſſen vierter Gemahlin, Maria Chriſtine, geb. 10. Okt. 1830, folgte 29. Sept. 1833 ihrem Vater, der am 29. März 1830 durch Aufhebung des ſogen. Saliſchen Geſetzes die alte kaſtiliſche kog⸗ natiſche Erbfolge wiederhergeſtellt hatte, unter Vor⸗ mundſchaft ihrer Mutter auf dem Thron. Gegen die Empörung der Anhänger des von der Thronfolge ausgeſchloſſenen Don Karlos, der Karliſten, ſicherte die Königin-Mutter Chriſtine durch ihre Verbindung mit den liberalen Parteien ihrer Tochter den Thron; mußte ſie auch ſelbſt 1840 Spanien verlaſſen, ſo blieb unter der Regentſchaft Esparteros doch J. Königin von Spanien; ſie wurde 8. Nov. 1843 durch Beſchluß der Cortes für majorenn erklärt. Die Frage ihrer Verheiratung war eine europäiſche Angelegenheit, weil Ludwig Philipp von Frankreich es ſo einzurich⸗ ten wünſchte, daß ſeine Dynaſtie in Spanien zur Herrſchaft gelange, während England dagegen Ein⸗ ſpruch erhob. J. vermählte ſich 10. Okt. 1846 mit ihrem Vetter Franz d'Aſſiſi Maria Ferdinand, dem Sohn des Infanten Franz de Paula, einem kränklichen Mann, wobei zugleich die Vermählung ihrer Schwe—
ſter mit dem Sohn Ludwig Philipps, dem Herzog
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Iſabelle — Iſagoge. 27
von Montpenſier, beſchloſſen ward: da man aus der königlichen Ehe keine Kinder erwartete, ſchien die fran—
öſiſche Abſicht erreicht. Wider Erwarten aber gebar die Köni in eine Anzahl von Kindern: Maria Iſabella Franziska, geb. 20. Dez. 1851, ſeit 1871 Witwe des Grafen von Girgenti; Alfons Franz, Prinz von Aſtu⸗ rien, geb. 28. Nov. 1857, geſt. 25. Nov. 1885 als König Alfons XII. von Spanien; Maria Berenguela, geb. 4. Juni 1861, geſt. 5. Aug. 1879; Maria della Paz, geb. 23. Juni 1862, ſeit 1883 Gemahlin des Prinzen Zub: 5 von Bayern; Eulalia, geb. 12. Febr. 1864, ſeit 1886 Gemahlin des Prinzen Anton von Montpenſier. Die Königin lebte, äußerſt bigott und beſchränkten Geiſtes, Werken der kirchlichen Fröm— migkeit und zugleich ſinnlichen Genüſſen hingegeben: ſie erfreute ſich einer Schar wechſelnder Liebhaber. In der Regierung ihres Landes war ſie von ihrer Umgebung abhängig, in welcher zuletzt die Nonne Patrocinio und der Intendant Marfori den meiſten Einfluß beſaßen. Wiederholte Aufſtände änderten wohl die Miniſterien, brachten aber keine Beſſerung der Regierung. Endlich machte im September 1868 eine Erhebung, zu der ſich die verſchiedenſten Partei— führer verbündet hatten, ihrer Herrſchaft ein Ende, gerade als ſie mit Napoleon III. eine Einmiſchung in die römiſche Frage zu gunſten des Papſtes verab- redet hatte; ſie floh nach Frankreich. Der Krone ent: ſagte fie 25. Juni 1870 zu gunſten ihres Sohns Al⸗ fons, der 1875 den Thron beſtieg. Hierauf kehrte J. nach Spanien zurück und lebt teils dort, teils in Paris.
Iſabelle, ſ. Pferd.
Iſabellenorden, 1) königlich portug. Frauenorden, 4. Nov. 1801 vom Prinz⸗Regenten, ſpätern König Johann VI., auf Erſuchen jeiner Gemahlin Char: lotte Joachime und nach ihren Beſtimmungen geſtif— tet, welche hauptſächlich die überwachung der Kran: ken⸗ und Waiſenpflege im Auge haben. Der Orden zählt 26 von der Königin zu ernennende Damen, welche 26 Jahre alt ſein müſſen. Die Dekoration beſteht in einer goldenen, von goldenen Roſen und Bändern umgebenen Medaille, mit einer Krone darüber; die Medaille zeigt vorn die einem Armen ſpendende heil. Iſabella von Portugal mit der Deviſe: Pauperum solatio« am Fuß, hinten die Namenschiffer der Prin⸗ zeſſin und die Umſchrift: »Real ordem de Santa Isa- bel 1801. Der Orden wird an Feſttagen an roſa⸗ farbener, weiß geſtreifter Schärpe, an andern Tagen auf der Bruſt getragen. — 2) Königlich ſpan. Orden Iſabellas der Katholiſchen, der dritte im Rang der ſpaniſchen Orden, geſtiftet von König Ferdinand VII. 24. März 1815 »zur Belohnung des bewährten Roya— lismus und des bewieſenen Eifers für die Erhaltung der indiſchen Beſitzungen ſowie verdienter Staats— männer in Spanien«. Der Orden, welcher ſpäter auch an Ausländer verliehen wurde, erhielt 26. Juli 1847 Zuſätze zu den Statuten und hat jetzt vier Grade: Großkreuze, Komture erſter und zweiter Klaſſe und Ritter. Er verleiht den perſönlichen Adel und den Großkreuzen den Titel Exzellenz. Die Dekora— tion beſteht in einem rot emaillierten Kreuz mit Strahlen in den Winkeln, das an einem grünen Lor⸗ beerkranz hängt und an weißem, orange geſtreiftem Band getragen wird. Der goldene Mittelſchild zeigt zwei Säulen mit der Weltkugel, umſchlungen von Bändern mit der Inſchrift: »Ne plus ultra, das Ganze umgeben von der Deviſe: »A la lealtad acri- solada« (der erprobten Treue). Die Großkreuze tra⸗ gen das Kreuz am Band von der Rechten zur Linken und einen ähnlichen Stern, deſſen Mittelſchild die
bel la Catolica«. Die Komture erſter Klaſſe tragen den Stern auf der Bruſt und das Kreuz um den Hals, die zweiter Klaſſe letzteres ohne Stern, die Rit⸗ ter das Kreuz im Knopfloch. Die Prälaten tragen das Kreuz an violettem Bande, die Weſtindier eine goldene Medaille mit dem königlichen Bruſtbild an ſchwarzem Band.
Iſabellfarbe, bräunlich⸗weißlich-gelbe Farbe, wie Milchkaffee, ſoll ihren Namen von der ſpaniſchen Prinzeſſin Iſabella, der Tochter Philipps II. und Statthalterin der Niederlande, erhalten haben. Dieſe gelobte nämlich, daß ſie ihr Hemd nicht eher wechſeln wolle, als bis ihr Gemahl, der Erzherzog Albrecht von Oſterreich, Oſtende, das er 1601 zu belagern be⸗ gann, erobert habe. Da dieſe Belagerung drei Jahre dauerte, ſo wäre wohl hinſichtlich der Farbe die Sage nicht zu bezweifeln.
Iſabey (ſpr. ba), 1) Jean Baptiſte, franz. Maler, geb. 11. April 1767 zu Nancy, war in Paris Davids Schüler und wurde ſodann Hofmaler Napoleons J., den er oft begleiten mußte, um merkwürdige Szenen, deren Glanz- und Mittelpunkt dieſer war, ſogleich im Bild feſtzuhalten. Nach Napoleons I. Sturz ar- beitete der Künſtler für die Bourbonen, die er ſowie faſt ſämtliche Souveräne Europas in zahlreichen Bil- dern darſtellte. Iſabeys Werke ſind äußerſt anmutig und ſeine Porträte von großer Treue. Seine Minia⸗ turen gehören zu den ausgezeichnetſten ihrer Art. Er verfertigte um 1805 auch die erſten vollendeten Zeich⸗ nungen in der Eſtampemanier. Als Meiſterſtück der Malerei auf Porzellan erklärte man die Platte nach Perciers Zeichnung, welche in der Mitte Napoleon J. im Ornat und um ihn herum die Büſten der Mar- ſchälle und Generale von Frankreich, welche 1805 ſeine Heere kommandierten, darſtellt. Auch die auf dem Wiener Kongreß anweſenden Fürſten und Mi- niſter hat man von Iſabeys Hand auf Einem Bild. Ein ſehr gelungenes lithographiſches Werk iſt die Voyage pittoresque et romantique dans l’an- cienne Frances. J. ftarb 18. April 1855 in Paris.
2) Eugene, Maler, Sohn des vorigen, geb. 22. Juli 1804 zu Paris, war Schüler ſeines Vaters, wohnte 1830 in der Eigenſchaft eines königlichen Marinemalers dem Feldzug nach Afrika bei und ſtellte eine Reihe Bilder aus jenem Kriegsſchauplatz dar. Zu ſeinen beſten Darſtellungen gehören: der Kampf bei Texel (1839, im Muſeum von Verſailles), der Hafen von Marſeille, die Überführung der Aſche des Kaiſers Napoleon I. (1843), Anſicht von Boulogne (1845), Zeremonie in der Kirche von Delft (1847), Heirat Heinrichs IV. (1848), die Einſchiffung von A. de Ruyter (1850, im Luxembourg), der Schiffbruch des Dreimaſters Emily (1865), Ausgang der Sakri— ſtei zu Brügge. Bei kecker Behandlung ſuchte er na— mentlich die glänzenden Farben- und Lichteffekte, das Perlen und Sprühen der Wogen, die Wirkungen der Luft, leicht und geiſtreich wiederzugeben. Dieſe einſeitige Virtuoſität wurde freilich oft zur Gleich: gültigkeit gegen Form und Charakter der Dinge ſelbſt, die in ſeinen letzten Bildern, namentlich in Koſtümſtücken, bis zur Flüchtigkeit ausartete. Doch hat ſeine flotte, beſtechende Manier einen großen Ein: fluß auf franzöſiſche und deutſche Künſtler (Hoguet, E. Hildebrandt) ausgeübt. J. hat auch zahlreiche Aquarelle ausgeführt. Er ſtarb 27. April 1886.
Iſabeypapier, ſ. Briſtolpapier.
Iſafjördr, Handelsplatz auf Island (f. d.).
Iſagöge (griech.), Einführung, Einleitung (beſon⸗ ders in eine Wiſſenſch aft); Iſagogik, Einleitungs⸗
Umſchrift trägt: »A la lealtad acrisolada por Isa- wiſſenſchaft (beſonders bibliſche).
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Iſagöras, nach Vertreibung des Hippias 510 v. Chr. Führer der ariſtokratiſchen Partei in Athen, vertrieb mit Hilfe der Spartaner 508 Kleiſthenes und ſetzte einen Rat von 300 ſeiner Partei ein, wurde aber vom Volk in der Akropolis eingeſchloſſen und mußte nach drei Tagen mit den Spartanern Athen verlaſſen; er ſtarb in der Verbannung.
Iſaktſcha, einſt bedeutende, jetzt herabgekommene Stadt in der rumän. Dobrudſcha, wenig oberhalb des Donaudelta, mit 3 — 4000 Einw. Hierhin ver: legt man die Schiffbrücke, welche Dareios auf ſeinem Zuge gegen die Skythen über die Donau ſchlagen ließ. 3 km unterhalb erfolgte 1829 der Donauübergang der Ruſſen.
Iſambert (ipr. iſangbähr), Frangois Andre, franz. Rechtsgelehrter und Gerichtsredner, geb. 30. Nov. 1792 zu Aunay im Departement Eure⸗et⸗Loire, wid⸗ mete ſich dem Studium der Rechte und ward Depu— tierter der Kolonien, 1818 auch Advokat am Kaſſa⸗ tionshof in Paris. Als Deputierter that er ſich na⸗ mentlich durch ſeine Bemühungen für eine Se rung der legislativen und adminiſtrativen Lage der Kolonien ſowie durch feine Angriffe auf die katholiſche Kirche hervor. Gegen die Ordonnanzen vom Jahr 1830 proteſtierte er im Namen des Advokatenſtandes. Auch begab er ſich als einer der erſten auf das Stadt— haus, wo er von der zuſammengetretenen proviſori— ſchen Regierung zum Direktor des Bulletin des lois« ernannt ward. Am 27. Aug. zum Rat am Kaſſations⸗ hof ernannt, redigierte er die von den 221 durchge— ſehene Charte und trat im Oktober d. J. in die De⸗ putiertenkammer, wo er für das Miniſterium Laffitte ſtimmte, aber unter dem Miniſterium Berier zur Oppo⸗ ſition übertrat. Nach der Februarrevolution von 1848 vom Departement Cure-et-Loire in die Nationalver: ſammlung gewählt, hielt er ſich in der Konſtituante zur Rechten, wurde jedoch bei den Wahlen für die Legislative nicht wieder gewählt. 1854 trat er zum Proteſtantismus über. Er ſtarb 13. April 1857 in Paris. Größere Werke aus ſeiner Feder von hiſto— riſch⸗juriſtiſchem Intereſſe find: Recueil complet des lois et ordonnances à compter du J avril 1814. (Par. 1820—30, 17 Bde.), mit vollſtändigem Kom: mentar; Recueil general des anciennes lois fran- caises depuis l’an 420 jusqu'à la revolution de 1789« (daſ. 1821— 33, 29 Bde.), eine Sammlung, die er mit Jourdan, Decruſy, Armet und Taillandier herausgab; »Annales politiques et diplomatiques« (daſ. 1823, 5 Bde.; 2. Aufl. 1826); Essai historique sur l’ötnde du droit naturel, du droit publique et du droit des gens« (daſ. 1826); »Code Electoral et municipal« (2. Ausg., daſ. 1831, 3 Bde.); »Etat re- ligieux de la France et de l’Europe« (daſ. 1843 — 1844, 2 Tle.); Histoire de Justinien« (daſ. 1856, 2 Bde.) ſowie die Überſetzung von Procopius' » Anec- dota« (daſ. 1856). Seine »Pandectes francgaises« (Par. 1834, 2 Bde.), eine vollſtändige Sammlung der franzöſiſchen Geſetze, Verordnungen, Aktenſtücke bis auf die neueſte Zeit, für den praktiſchen Gebrauch beſtimmt, ſind unvollendet geblieben. J. war auch der Gründer und längere Zeit Mitarbeiter der »Ga— zette des Tribunaux< und nahm thätigen Anteil an der von Wolowski geſtifteten Revue de legislation et de jurisprudence«. — Sein Sohn Emile J. geb. 1827, geſt. 1876 in Paris, widmete ſich dem ärztlichen Beruf und veröffentlichte unter anderm: »Etudles chimiques, physiologiques et cliniques sur l’emploi therapeutique du chlorate de potasse« (Par. 1856); »Parallöle des maladies générales et des maladies locales« (daj.1866) und (in den »Guides-Joanne«)ein
Iſagoras — Iſar.
»Itineraire descriptif, historique et archẽologique de l’Orient« (2. Ausg. 1873, fortgeſetzt von Chauvet).
Iſambul e Ort, f Abu Simbal.
Iſameträlen (griech.), Linien, welche auf Erdkarten diejenigen Orte verbinden, die in den einzelnen Mo⸗ naten gleiche Abweichung vom normalen Monats⸗ mittel beſeſſen haben. Sie laſſen erkennen, für welche Orte die einzelnen Monate zu kalt oder zu warm wa⸗ ren, und für welche dieſe Abweichung dieſelbe Größe hatte (ſ. Lufttemperatur).
Iſandhlwana (Iſandula), Ort in der nordöſtlich an die brit. Kolonie Natal anſtoßenden Zulureſerve, am linken Ufer des Buffalofluſſes. Hier wurde 22. Jan. 1879 eine Abteilung der britiſchen Truppen unter dem General Chelmsford von den Zulukaffern unter Cetewayo vollſtändig vernichtet. s
Iſanomälen (griech.), Linien, welche auf Erdkar⸗ ten zwiſchen den Punkten gezogen ſind, an denen die Mitteltemperatur des Ortes um gleichviel Grade von der mittlern Temperatur des Parallelkreiſes, unter welchem der betreffende Ort liegt, abweicht. Dove nennt die Differenz zwiſchen der Mitteltempe⸗ ratur eines Ortes und der Mitteltemperatur ſeines Parallelkreiſes die thermiſche Anomalie, und da⸗ her verbinden die J. die Orte gleicher Anomalie. Je nachdem man die Mitteltemperatur eines Jahrs oder der einzelnen Monate einführt, erhält man verſchie⸗ dene Kurven, aus denen intereſſante Schlüſſe über die klimatiſchen Verhältniſſe der Erdoberfläche gezo⸗ gen werden können (ſ. Lufttemperatur).
Iſäos, der fünfte in der Reihe der zehn attiſchen Redner, aus Chalkis auf Euböa, Schüler des Iſo⸗ krates, lebte in Athen während der erſten Hälfte des 4. Jahrh. v. Chr. wahrſcheinlich als Metöke, indem er Prozeßreden für andre ſchrieb und redneriſchen Unterricht erteilte, unter andern auch an Demoſthenes. Von den 64 Reden, welche ihm das Altertum beilegte, ſind außer nicht unbedeutenden Bruchſtücken 11 auf Sia e dennen bezügliche erhalten, die eine Hauptquelle des attiſchen Privatrechts find. Laſ⸗ ſen dieſelben die natürliche Eleganz und Einfachheit, welche Lyſias auszeichnen, vermiſſen, ſo empfehlen ſie ſich dafür durch eine gebildetere Kunſtform wie durch Kraft und Gedrungenheit des Stils. Ausgaben beſonders von Schömann (mit Kommentar, Greifsw. 1831), Scheibe (Leipz. 1860) und Buermann (Berl. 1882); Überſetzung von Schömann (Stuttg. 1830, 2 Bde.). Vgl. Blaß, Die attiſche Beredſamkeit, Bd. 2 (Leipz. 1874); Moy, Etude sur les plaidoyers d’Isee (Par. 1876).
Iſar, einer der bedeutendſten Nebenflüſſe der Do⸗ nau, entſpringt in Tirol am Stalter Anger nordweſt⸗ lich von der Speckkorſpitze und zwiſchen den beiden mittlern Ketten des Karwendelgebirges, nordöſtlich von Innsbruck, fließt erſt 22km weit nach W., wen⸗ det ſich bei Scharnitz nach N. und durchbricht unter⸗ halb in dem Scharnitzer Engpaß (wo ehemals die Feſte Porta Claudia) die Kalkalpen. Weiterhin, von Mit⸗ tenwald (920 m ü. M.) an, nach NO., dann wieder nach N. fließend, macht der auf 7 m eingeengte Fluß einen Fall von 8 m Höhe und tritt bei Tölz (640 m ü. M.) aus dem Gebirge. Er empfängt auf dieſer Strecke, dem Oberlauf, rechts die Riß und die Achen oder Walchen (aus dem Achenſee), links die Jachenau (aus dem Walchenſee). Von Tölz an verfolgt die J. mit einem Bogen nach W. bis Freiſing nordöſtliche Richtung, fließt am ausgedehnten Erdinger Moos (am rechten Ufer zwiſchen München und Freiſing) vorüber, wendet ſich von Freiſing an (438 m ü. M.) entſchieden nach NO. und mündet nach einem Laufe
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Iſaſchar
von 352 km bei Iſarmünd (312 m ü. M.) unterhalb Deggendorf in die Donau. Der größte Zufluß des
Mittellaufs iſt die Loiſach (aus dem Kochelſee), die
bei Wolfratshauſen links mündet; auf dem Unterlauf fließt bei Moosburg links die Amper zu. Die ſchöne grüne J. fließt in weitem kiesreichen Bett, unterhalb München 130 — 320 m breit, zahlreiche Inſeln ein⸗ schließend, immer mit ſtarkem Gefälle, bleibt aber für die Schiffahrt, die man von Tölz an rechnet, wegen des ſtarken Falles und der ſehr ungleichen Waſſer— menge unbedeutend. Nur mit beladenen Flößen wird ſie abwärts befahren. Die J. iſt der eigentliche bay⸗ riſche Nationalfluß. Mehr als jeder andre Fluß durch— ſtrömt ſie die bayriſche Hochebene in ihrer ganzen Zänge; ſie hat faſt zu allen Zeiten den Bayern gehört; an ihr liegen die beſten Fruchtfelder des Bayernlan⸗ des, an ihr die alten bayriſchen Herzogſitze München und Landshut ſowie das alte Bistum Freiſing; in ihrem Flußgebiet wohnt noch heute der Kern der altbay- riſchen Bevölkerung. Nach ihr benannt war der frühere Iſarkreis, der das jetzige Oberbayern umfaßte.
Iſäſchar, fünfter Sohn Jakobs mit der Lea, Stamm⸗ vater des Stammes J. Das Gebiet desſelben reichte vom See Tiberias und dem Berg Tabor bis zum Thal Jesreel, welches noch dazu gehörte, und grenzte gegen O. an den Jordan. Aus 1. Moſ. 49, 14. 15 erhellt, daß der Stamm ſich den Phönikern, deren Karawanenſtraße durch ſein Gebiet ging, mehr, als dem Nationalgefühl entſprach, dienſtbar erwies.
Iſatin C,H,NO, entſteht bei Behandlung des In⸗ digos mit Salpeterſäure, bildet gelbrote, glänzende, geruchloſe Kriſtalle, ſchmeckt bitter, löſt ſich wenig in kaltem, leicht in heißem Waſſer, in Alkohol und Ather, mit violetter Farbe in Alkalien, iſt ſublimierbar, gibt beim Kochen mit Alkalien Iſatinſäure, mit Phosphor⸗ chlorür und Phosphor wieder Indigblau C, ;H,,NsO;, kann aber auch zu Indol Cie NI Ne reduziert werden. Auch Iſatinchlorid wird durch Zinkſtaub in Indig⸗ blau verwandelt.
Isätis L. (Waid), Gattung aus der Familie der
— Jschia. 29 ſchließlich in Fäſſer eingeſtampft und wird in dieſen noch reicher an Farbſtoff. Der Waid iſt eine alte Kulturpflanze, wurde im Mittelalter und bis ins 17. Jahrh. viel angebaut und bildet in Deutſchland das wichtigſte Material zum Blaufärben. Erfurt war ſchon 1290 wegen ſeines Waidbaues berühmt, ſpäter erwarben auch noch Gotha, Arnſtadt, Langen— ſalza und Tennſtädt das Recht, Waid zu bauen, und im Anfang des 17. Jahrh. beſchäftigten ſich damit außer den Bewohnern dieſer fünf Waidſtädte noch die von mehr als 300 thüringiſchen Dörfern. Gegenwär⸗ tig findet ſich der Anbau, wiewohl beſchränkt, noch in Thüringen, Böhmen, Ungarn, Frankreich (der beſte), Belgien, und man benutzt den Waid als Hilfsmittel beim Färben mit Indigo (Waidküpe).
Iſauricus, röm. Feldherr, ſ. Servilius; auch Beiname der griechiſchen Kaiſer Zeno und Leo III.
Iſaurien, im Altertum Landſchaft im ſüdlichen Kleinaſien, auf der Höhe und am nördlichen Abhang des Taurus, von Lykaonien, Phrygien, Piſidien und Kilikien umſchloſſen, war nur in ihrem nördlichen, weniger gebirgigen Teil den Römern einigermaßen bekannt und hatte rohe, den Piſidiern ſtammver⸗ wandte Bewohner, welche durch Raubzüge die um⸗ liegenden Gegenden beunruhigten und ſich ſpäter lebhaft bei den Seeräubereien der Kiliker beteiligten. Obgleich ſchon von dem römiſchen Feldherrn Ser⸗ vilius, der davon den Beinamen Iſauricus erhielt, beſiegt (76 v. Chr.), traten ſie doch ſpäter immer wie⸗ der als kühne Piraten auf, und ſelbſt nachdem Pom⸗ pejus 67 der kleinaſiatiſchen Seeräuberei ein Ende gemacht, ſetzten ſie ihre Raubzüge ungeſtört fort, er⸗ oberten einen Teil von Kilikien und machten ſich zum Schrecken aller Grenznachbarn. Ein Gegenkaiſer, Tre⸗ bellianus, welcher ſich zur Zeit des Kaiſers Gallienus (253 268 n. Chr.) unter ihnen erhob, wurde zwar beſiegt und getötet; das Volk ſelbſt aber behauptete ſeine Unabhängigkeit. Erſt dem Kaiſer Probus (276— 282) gelang es, die Iſaurier auf kurze Zeit dem rö⸗ miſchen Zepter zu unterwerfen. Noch im 5. Jahrh.
Kruciferen, meiſt zweijährige Kräuter mit ganzen nahmen ſie Seleukeia (an der Küſte von Kilikien), vers (am Stengel pfeilförmigen) Blättern, meiſt gelben ſchwinden aber ſeitdem aus der Geſchichte. Unter den Blüten auf ſchlanken, bei der Fruchtreife abwärts ge- Produkten des obwohl gebirgigen, doch nicht unfrucht⸗
bogenen Stielen und großen, von den Klappenrän⸗ dern her zuſammengedrückten, einſamigen Schötchen. I. tinctoria L. (Färberwaid, ſ. Tafel Farbepflan⸗ zen«), aus Süddeutſchland, treibt im erſten Jahr eine breite Blattroſette von 15 — 30 em langen, dunkel⸗ grünen, länglich lanzettlichen, ganzrandigen oder ge⸗ zähnelten Blättern, im zweiten Jahr einen 0,5—1 m hohen Stengel, der kleine Blätter mit pfeilförmiger Baſis und an der Spitze eine Menge reichverzweigter Blütentrauben mit kleinen, goldgelben Blüten trägt.
Die 1,3 em langen, faſt verkehrt dreieckigen, ſchwärz⸗
lichen Schötchen enthalten ein längliches, gelbes Sa⸗ menkorn. Man kultiviert den Färberwaid fürtechniſche Zwecke. Er verlangt tiefgrundigen, lehmartigen, kalk— reichen Boden und ſehr ſtarke Düngung. Im Juli ſtößt man die fußlangen Blätter bis auf die Herz- blätter ab, und im September erntet man zum zwei⸗ tenmal. Ein Hektar liefert 60 — 70 Ztr. lufttrockne Blätter. Dieſe werden auf der Waidmühle zermalmt, in Haufen aufgeſetzt, nach 24 Stunden zu Handklößen geformt und getrocknet. Der Händler ſchüttet die
Klöße auf einer Tenne 50—60 em hoch auf, hält den
Haufen feucht und leitet dadurch eine Gärung ein, durch welche im Lauf einiger Wochen ein in der Pflanze enthaltenes Glykoſid unter Bildung von In⸗ digo wie bei der Indigopflanze zerſetzt wird (vgl. Indigo). Die vollſtändig zerfallene Maſſe wird
baren Ländchens wird auch Wein genannt. Die Haupt⸗ ſtadt Iſaura, nahe am Taurus, wurde zuerſt durch den Makedonier Perdikkas (322 v. Chr.), dann noch einmal von den Römern unter Servilius Iſauricus zerſtört. Zum drittenmal in der Nähe der alten Stadt aufgebaut, war ſie die Reſidenz des Uſurpators Trebel: lianus, aber ſchon zu Ammians Zeit in Verfall. Der andre wichtigſte Ort war Lyſtra, nördlich von Iſaura. Isbä (ruſſ., Stube«), das ruſſiſche Bauernhaus, aus behauenen Balken zuſammengefügt; vorzeiten auch Name des Gerichtszimmers im Palaſt des Za— ren; bei den Doniſchen Koſaken ums 16. Jahrh. die Kriegskanzlei (Wojsskoja I.). Sbornaja I., das Ver⸗ ſammlungslokal der ruſſiſchen Bauerngemeinde. Ischämie (griech., Blutverhaltung ), in der neuern Pathologie diejenigen Formen lokaler Anämie, welche auf krampfhafter Verengerung der das Blut zufüh— renden Schlagadern beruhen. Iſchariot (hebr., Mann von Karioth«, einer Stadt Judäas), Beiname des Judas, des Verräters Jeſu. Ischia (ipr. istia, im Altertum Anaria und Pithe⸗ cuſa genannt), Inſel im Tyrrheniſchen Meer, nord⸗ weſtlich am Eingang des Golfs von Neapel, zur ital. Provinz Neapel, Kreis Pozzuoli, gehörig, wird vom Feſtland durch einen gegen 10 km breiten Kanal getrennt, in welchem die Inſel Procida liegt, hat
39 km Umfang und zählte 1881: 22,170 Einw. Die
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Inſel ift gebirgig und rein vulkaniſchen Urſprungs; jteile, zerriſſene Tuff- und Lavafelſen bilden ihre Küſten. Der ſcharf gezackte, 795 m hohe Epomeo, von dem man den beſten Überblick über die Inſel hat, war ein Hauptherd der vulkaniſchen Kräfte; außer ihm, der 1302 ſeinen letzten Ausbruch hatte, und dem nach NW. vorgeſchobenen Monte Vico trägt die Inſel noch elf kleinere Kegel. Der vulkaniſche Boden iſt außerordentlich fruchtbar. Daneben nährt auch Fiſcherei die Bewohner, und eine wichtige Er— werbsquelle ſind die warmen Mineralquellen, deren es 35 gibt, die berühmteſten die von Caſamicciola. Dieſe ziehen im Sommer, Juni bis September, zahl— reiche Beſucher herbei. J. iſt ſeit den älteſten Zeiten, zuletzt 1301, von gewaltigen vulkaniſchen Ausbrüchen heimgeſucht worden, häufiger noch von Erdbeben, im 19. Jahrh. fünfmal, zuletzt und am heftigſten 28. Juli 1883, wobei Caſamicciola und Lacco Ameno zerſtört
wurden. Übrigens wurden für die Verunglückten
und Geſchädigten mehr als 6 Mill. Lire, davon 2 Mill.
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Ischiadicus — Iſchl.
Ischias (Ischialgie, griech.), ſ. Hüftweh.
Iſchim, linker Nebenfluß des Irtiſch in Weſtſibi⸗ rien, entſpringt in der Kirgiſenſteppe und mündet nach einem Laufe von 730 km oberhalb Tobolsk.
Ischion (griech., lat. ischium), die Hüfte; Os ischion oder os ischii, das Sitzbein; ischiadiſch, auf das Sitzbein bezüglich.
Iſchkodra, Stadt, ſ. Skutari J).
Iſchl, Marktflecken und berühmter Badeort in der oberöſterreich. Bezirkshauptmannſchaft Gmunden, liegt reizend im Mittelpunkt des Salzkammerguts, 468 m ü. M., in einem freundlichen Thalbecken am Einfluß des aus dem St. Wolfgangſee kommenden Fluſſes J. in die Traun und am Weſtende des Totengebirges, iſt Station der Salzkammergutbahn, Sitz eines Bezirksgerichts, einer Salinen- und Forſt⸗ verwaltung, hat ein großes Salzſudwerk, eine kaiſer⸗ liche Villa mit Park, ein neues großes Kurhaus mit
Park, Muſeum, Theater, eine ſtattliche katholiſche und
eine neue prot. Kirche, mehrere große Hotels, viele
im Ausland, ½ Mill. in Deutſchland, geſammelt. prachtvolle Landhäuſer und Gartenanlagen und (1880)
2124 Einw. Als Badeort hat ſich It erſt ſeit
1822 zu ſeiner jetzigen Berühmtheit und
Vornehmheit emporgeſchwungen. Die
Badeanſtalten ſind ſehr mannigfaltig; es
gibt Solbäder, Bäder mit Zuſatz von
Schwefelquelle, von eiſenhaltigem Moor:
waſſer (Bergſchlamm) ꝛc., Dampfbäder, eine Molkenanſtalt, Kaltwaſſerheilanſtalt
und eine Salzquelle. Letztere (die Maria Luiſen-Quelle), 2 km von J. entſprin⸗ gend, enthält (nach Fr. v. Erlach) in 1000 Teilen 0,027 Jodnatrium, 10,204 Chlor⸗ natrium, 0,205 Chlormagneſium, 0,249 ſchwefelſaure Kalkerde, 0,311 ſchwefelſaures Natron, 0,295 kohlenſaure Kalkerde ꝛc. und wird mit beſonderm Erfolg bei Drüſen— anſchwellungen (Kropf), Leiden der Ma⸗ gen- u. Darmſchleimhaut, zu geringer Gal⸗
lenabſonderung, Wurmſucht, chroniſchen
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Hautleiden, Schleimaſthma 2c. innerlich
gebraucht. In der Iſchler Schwefelquelle
Kärtchen der Inſel Ischia.
Man hat dieſe Erdbeben von dem Vulkan Epomeo ab— geleitet, auf deſſen fortdauernde, wenn auch ſchlum— mernde Kräfte die zahlreichen heißen Quellen deuten; wahrſcheinlicher aber handelte es ſich um Einſturz— erdbeben. Die feſte kriſtalliniſche Lavenoberfläche der Inſel ruht auf loſe verfeſtigten Tuffen, in welchen ſich weiche Thonmergel eingelagert finden. Letztere werden durch die Wirkung des Waſſers, beſonders der heißen Quellen, ihres Kalkes beraubt und in eine ſchlüpfrige Maſſe verwandelt, welche unter dem Druck des überlagernden Geſteins plötzlich ausweicht, den Zuſammenbruch und damit das Erdbeben herbei— führt. Vgl. Johnſton-Lavis, Monograph of the earthquakes of I. (Neap. 1886). — Die Hauptorte der Inſel ſind: Caſamicciola (ſ.d.) an der Nordſeite, Forio (j. d.) an der Weſtſeite und das Städtchen J. an der Oſtſeite, Procida gegenüber, mit (188!) 2741 Einw., einem Hafen, Seebad und ſchöner Ka— thedrale, Biſchofſitz; davor auf einem 180 m hohen
Felſen, der nur durch einen ſchmalen Damm mit der
Inſel verbunden iſt, ein Kaſtell, das unter den Bour— bonen als Staatsgefängnis diente. Vgl. Kaden, Die Inſel J. (Luzern 1883).
Ischiadieus (nervus i.), Hüftnerv.
Maßstab 1 140 000 == Hilometer
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finden ſich in 1000 Gewichtsteilen 5,17 Chlornatrium, 1,60 ſchwefelſaures Natron, 1,31 Schwefel, 0,30 kohlenſaurer Kalk ꝛc.; ſie iſt beſonders angezeigt bei Schleim⸗ flüſſen, chroniſchen Geſchwüren, allgemeinen Dyskra⸗ ſien ſkrofulöſer, rheumatiſcher, arthritiſcher, pſoriſcher Natur, bei Hämorrhoidal- und Menſtruationsbe— ſchwerden, bei chroniſchen Metallvergiftungen 2c. Die Badeſole, durch Auslaugen gewonnen und vom Salzberg nach J. geleitet, enthält nach Schröders Analyſe in 100 Teilen 23,613 Chlornatrium, 0,093 Chlormagneſium, 0,354 ſchwefelſaures Natron, 0,35: ſchwefelſaure Kalkerde, 0,069 ſchwefelſaures Kali ꝛce. und leiſtet vorzugsweiſe Dienſte bei allen Formen der Skrofuloſe, bei Anſchwellungen und Verhärtun⸗ gen der Eingeweide wie der Ovarien und des Uterus, bei Lithiaſis, chroniſchen Hautausſchlägen, Gicht und Hämorrhoiden, Rhachitis, nervöſen Krankheiten ꝛc. Die Jahresfrequenz von J. beträgt zwiſchen 4000 und 5000 Kurgäſte. Das Salz von It iſt aufgelöſtes Steinſalz, das in dem 4 km ſüdöſtlich en 936 m hohen Iſchler Salzberg gewonnen wird. Derſelbe ſteht ſchon ſeit 300 Jahren im Betrieb und enthält 12 horizontal getriebene Galerien. Das Sud⸗ werk in J. (1571 erbaut) verarbeitet jährlich über Mill. hl Salzſole (vom Iſchler Salzberg und von Hallſtatt) und produziert daraus ca. 160,000 metr. Ztr.
Salz. Außerdem hat J. bedeutenden Holzhandel,
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Iſchoren — Iſelaſtiſche Spiele.
Gips⸗ und Kreidebrüche und einen ſtark vertretenen Gewerbeſtand. Außer den Anlagen in J. ſelbſt, wie der Sophieneſplanade, dem Rudolfsgarten mit Büſte des Erzherzogs Rudolf, Erzbiſchofs von Olmütz, Wirers Garten mit der Koloſſalbüſte des Wiener Arztes Dr. Wirer von Rettenbach, durch deſſen Be— mühungen ſich J. zum Kurort geſtaltete, bietet die Umgebung nach allen Richtungen hin die herrlichſten
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Karte der Umgebung von Iſchl.
Spaziergänge und mannigfaltigſten Ausflüge und übertrifft in dieſer Hinſicht die meiſten andern Bade⸗ orte. Eine ſchöne Rundſchau gewährt die Franz⸗Jo⸗ ſephswarte am Siriuskogel. Zum Gemeindegebiet von J. gehört unter andern auch Laufen an der Traun (welche hier den wilden Fall bildet), mit ſchöner Wallfahrtskirche, der älteſte Marktflecken des Salz⸗ kammerguts (ſeit 1282). Vgl. v. Kottowitz, Kur⸗ ort J. in Oſterreich (2. Aufl., Linz 1882); J. und ſeine Umgebung! (7. Aufl., Gmunden 1885); A. Reibmayr, J. als Terrainkurort (Wien 1886).
Iſchoren, Volk, ſ. Karelier.
Iſchtib (Schtiplje), gewerbreiche Stadt im türk. Wilajet Koſſowo, am Fluß Bregalnitza, der in den Wardar mündet, ift amphitheatraliſch gebaut, hat ſchöne Moſcheen und gegen 20,000 Einw.
Ischurie (griech.), ſ. Harnverhaltung.
an ſ. Jesdegerd.
ſe, kleiner Fluß im preuß. Regierungsbezirk Lüne⸗ burg, entſpringt aus einem See an der Grenze der Altmark, fließt in ſüdlicher Richtung und mündet nach 50 km langem Lauf bei Gifhorn in die Aller.
Iſebel (Jeſebel, hebr., die Unberührte“), Ge⸗ mahlin des israelitiſchen Königs Ahab (875 — 853 v. Chr.), Tochter Ethbaals, Königs von Sidon, wel⸗ cher früher Prieſter der Aſtarte geweſen war. Herrſch⸗ ſüchtig und grauſam, war ſie eifrig bemüht, der Re⸗ ligion ihres Vaterlandes in Israel Eingang zu
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verſchaffen, und verfolgte die ihr hierin entgegenwir⸗ kenden Propheten. Sie regierte unter ihren Söhnen Ahasja und Joram noch zehn Jahre und ward ſchließ— lich auf Befehl Jehus, des vom Propheten Eliſa auf— geſtellten Thronprätendenten, aus dem Fenſter ihres Palaſtes zu Jesreel geſtürzt (843 v. Chr.). Iſeghem, Stadt in der belg. Provinz Weſtflandern,
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Arrondiſſement Roufjelaere, an der Mandel und an der Eiſenbahn Brüg⸗ ge⸗Courtrai, hatLein⸗ wand⸗ und Spitzen⸗ fabrikation und (1885) 3 9520 Einw. 3. Iſegrimleigentlich Iſangrim, »Eijen- & helm⸗), in der deut⸗ 3 jchen Tierſage Name des Wolfs, der eine Hauptrolle in derſel⸗ ben ſpielt. Den Titel »Isengrimus= führt ein von einem unge⸗ nannten ſüdflandri⸗ ſchen Dichter im 12. Jahrh.inleoniniſchen Hexametern verfaß⸗ tes latein. Gedicht, worin zwei Abenteuer der Tierſage, die Hei⸗ lung des Löwen durch die dem J. abgezogene Haut u. die Erzählung von der Wallfahrt der Gemſe Bertilia, be⸗ handelt ſind (hrsg. von Jak. Grimm im 5 »Reinhart Fuchs, 1 Q e, Berl. 1834 und von . 12 Voigt, Halle 1884). NP Vgl. Reineke Fuchs. Iſel, 1) (Berg⸗J.) Berg ſüdl. von Inns⸗ bruck in Tirol, 649 m ü. M., mit ſchönen Gartenanla⸗ gen, Schießſtättedes Tiroler Jägerregiments, herrlicher Ausſicht auf Innsbruck und die umliegenden Alpen⸗ züge, trägt zwei Denkmäler der in den Jahren 1809, 1848, 1849, 1859 und 1866 gefallenen Tiroler und ſeit 1880 eine Ruhmeshalle. Der J. war 1809 Schau⸗ platz heißer Kämpfe; in drei Schlachten (11.—13. April, 29. Mai und 13. Aug.) ſiegten hier unter Hofer, Speck⸗ bacher, Haspinger und Teimer die Landesverteidi⸗ ger über die Franzoſen und Bayern, unterlagen aber in der vierten (1. Nov.), welche das Ende des Auf⸗ ſtandes herbeiführte. — 2) Linker Nebenfluß der Drau in Tirol, welcher er die Gewäſſer der Tauerngletſcher aus den Thälern von Virgen, Teffereggen und Kals zuführt, entſpringt am Umbalkees im S. der Drei⸗ herrenſpitze und mündet bei Lienz in die Drau. Das Iſelthal im engern Sinn umfaßt den Lauf der J. von Windiſchmatrei bis Lienz, der Oberlauf des Fluſſes dagegen bildet das Virgenthal. Während das eigentliche Iſelthal eine 25 km lange, breite, fruchtbare Aue iſt, enthalten die Seitenthäler des⸗ ſelben, welche den Zugang zu den Gruppen des Groß⸗ glocknerund Hochſchober (Kalſer Thal) ſowie des Groß⸗ venediger (Tauern⸗, Virgen⸗ und Teffereggenthal) bilden, die großartigſten landſchaftlichen Schönheiten. Iſelaſtiſche Spiele (griech. Eiselastika), bei der alten Griechen die einen ſiegreichen Einzug verhesı- lichenden Wettkämpfe und Feierlichkeiten.
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Iſelin, Iſaak, philoſophiſcher Schriftſteller, geb. 17. März 1728 zu Baſel als Sohn des als hiſtori— ſcher und politiſcher Schriftſteller bekannten Jakob Chriſtoph J. (geſt. 1737 als Profeſſor der Theo- logie in Baſel), ſtudierte in Göttingen die Rechte, ward 1754 in ſeiner Vaterſtadt Mitglied des Großen Rats und Ratsſchreiber; ſtarb daſelbſt 15. Juni 1782. Nächſt ſeiner »Geſchichte der Menſchheit« (Zürich 1764-70, 2 Bde.; 5. Aufl. 1786) ſind zu erwähnen jeine »Vermiſchten philoſophiſchen Schriften (daſ. 1770, 2 Bde.) und ſeine Ephemeriden der Menſch— heit« (Baſel 1776 - 82, 7 Bde.), die Becker bis 1786 fortſetzte. Seine Pädagogiſchen Schriften nebſt pä— dagogiſchem Briefwechſels wurden von Göring (Lan— genſalza 1884) herausgegeben. Vgl. v. Miaskowski, Iſaak J. (Baſel 1876).
Isenäcum, neulat. Name für Eiſenach.
Iſenburg, Marktflecken im preuß. Regierungs— bezirk Koblenz, Kreis Neuwied, am Einfluß des Iſen⸗ bachs in den Saynbach, hat Hopfenbau und Nagel: ſchmieden und (1885) 642 kath. Einwohner. In der Nähe die geringen Reſte des Schloſſes J., Stammhauſes des gleichnamigen Geſchlechts.
Iſenburg (Yſenburg), fürſtliche und gräfliche Standesherrſchaft, liegt teils in dem preußiſchen Re— gierungsbezirk Kaſſel, teils in den großherzoglich heſſiſchen Provinzen Starkenburg und Oberheſſen, umfaßt 990 qkm mit etwa 58,000 Einw., wovon auf Preußen 250 qkm (mit den Amtern Birſtein, Lan⸗ genſelbold, Wächtersbach und Meerholz) kommen, und zerfällt in die Beſitzungen des Fürſten von J.⸗Birſtein (470 qkm, mit den Reſidenzen Bir- ſtein und Offenbach), der Fürſten von J.-Büdin⸗ gen (250 qkm, mit der Reſidenz Büdingen) und J.⸗Wächtersbach (138 qkm, mit der Reſidenz Wächtersbach) und des Grafen von J.⸗Meerholz (110 qkm, mit der Reſidenz Meerholz). Das Stamm: haus des Geſchlechts von J. war Iſenburg bei Koblenz; dasſelbe wurde im 13. Jahrh. in einem Streite des Beſitzers mit dem Erzbiſchof von Kölngeſchleift, ſpäter jedoch als Nieder-J. wieder aufgebaut. Als Ahnherr des Hauſes erſcheint um 1100 Rembold J., deſſen Söhne die Linien Limburg, J. und Kempenich gründeten. Dieſelben ſpalteten ſich ſpäter mehrfach, jedoch ſtarb die Linie Kempenich ſchon 1424 und die ältere Linie J. 1664 aus. Zu Ende des 15. Jahrh. war von der Linie Limburg nur der Zweig Büdin⸗ gen übrig, der ſich 1511 in die Linien Ronneburg und Birſtein teilte. Erſtere ſtarb 1601 aus, letztere spaltete ſich 1631 in die Zweige J.-Offenbach und J.⸗Büdingen, welche die Grafen Wolfgang Hein⸗ rich (geſt. 1635) und Johann Ernſt (geſt. 1685) zu Stiftern hatten. Mit Wolfgang Heinrichs Enkel Johann Philipp ſtarb 1718 die Hauptlinie Dffen- bach aus, doch begründete ſein zweiter Enkel, Wilhelm Moritz (1711), die Linie J.⸗Birſtein und deſſen zweiter Sohn, Wilhelm Moritz (geſt. 1772), die Linie J.⸗Philippseich. In J.-Birſtein wurde Graf Wolfgang Ernſt I., der Sohn des Stifters, 1744 in den Fürſtenſtand erhoben; ſein Urenkel, der Fürſt Karl Friedrich Ludwig Moritz (geb. 1766, geſt. 1820), trat im Juli 1806 dem Rheinbund bei, warb für Na- poleon ein Fremdenregiment und erhielt ſodann die Souveränität nicht nurüber die drei jüngern, damals gräflichen Linien, ſondern auch über die Grafen von Schönborn-Hauſenſtamm und Lerchenfeld. Nach Auf: löſung des Rheinbundes kam J. zunächſt an Sſter⸗
Iſelin — Iſere.
feſſion übergetretene Fürſt Karl (geb. 29. Juli 1838), der ſeit 1865 mit einer toscaniſchen Prinzeſſin ver⸗ heiratet iſt. Die gräfliche Linie J.⸗Philippseich wird gegenwärtig durch Graf Ferdinand (geb. 15. Okt. 1841) repräſentiert. Die gräfliche Linie J.⸗ Büdingen zerfiel 1685 in die Zweige J. Büdingen in Büdingen, J.⸗Büdingen in Wächtersbach, J.⸗Büdingen in Meerholz und J. Büdingen in Marienborn, von denen der letzte ſchon 1725 er⸗ loſch. Die erſtgenannte Linie wurde 1840 unter Ernſt Kaſimir vom Großherzog von Heſſen in den Fürſten⸗ ſtand erhoben; gegenwärtiger Fürſt iſt Bruno (geb. 14. Juni 1837). Der Zweig J.⸗Büdingen in Wäch⸗ tersbach erhielt 1865 unter ſeinem gegenwärtigen Haupt Ferdinand (geb. 24. Okt. 1824) die fürſtliche Würde. Haupt der gräflichen Linie J.⸗Büdingen in Meerholz iſt Graf Karl (geb. 26. Okt. 1819), wie der vorher genannte erbliches Mitglied des preußiſchen Herrenhauſes. Vgl. Simon, Geſchichte des reichs⸗ ſtändiſchen Hauſes J. und Büdingen (Frankf. a. M. 1864 65, 3 Bde.).
Iſenhagen, Dorf und Kreishauptort im preuß. Regierungsbezirk Lüneburg, hat eine evang. Kirche, ein Damenſtift, ein Amtsgericht und (1855) 134 Einw.
Iſeo (im Altertum Lacus Sebinus), See am Süd⸗ fuß der Alpen, an der Grenze der ital. Provinzen Brescia und Bergamo, vom Fluß Oglio gebildet, in 197 m Höhe, 24 km lang, bis 5 km breit und 62 qkm groß, wird von einem Dampfboot befahren und iſt ſehr fiſchreich. Die Ufer ſind lieblich; in der Mitte erhebt ſich eine Inſel mit zwei Fiſcherdörfern. Im ſüd⸗ öſtlichen Winkel liegt der Flecken J. mit (18s) 1981 Einw., Torflagern, Seideninduſtrie, Hutmacherei, Töpferei, Gerberei, einem Hafen und Handel mit Holz, Steinen und Seide.
Iſer (tſchech. Jizera), rechter Nebenfluß der Elbe in Böhmen, entſteht aus der Vereinigung der Großen und Kleinen J., deren erſtere am Ochſenkamm im Iſergebirge, letztere am Hinterberg im Rieſengebirge entſpringt, und welche unter dem Kauligen Buchber zuſammenfließen, tritt, nachdem ſie den Iſergrun durchfloſſen, bei Turnau, 52 km von der Quelle, ins offene Land und mündet nach 125 km langem Lauf oberhalb Altbunzlau.
Iſera, Ort bei Roveredo (ſ. d.).
Iſeran (spr. ang), Paß der Grajiſchen Alpen von 2769 m Höhe, welcher die Verbindung zwiſchen den franzöſiſchen Thälern der Iſere (La Tarentaiſe) und des Arc (La Maurienne) und Piemont (Thal des Orco) herſtellt.
Iſere (pr. iſähr), linker Nebenfluß des Rhöne, ent⸗ ſpringt im franz. Departement Savoyen in der Nähe des Iſéranpaſſes in einer Höhe von 2300 m, verfolgt in großen Krümmungen ſüdweſtliche Hauptrichtung, bildet im obern Lauf das Thal La Tarentaiſe, tritt bei dem Fort Barreaux in das nach ihm benannte Departement ein, durchfließt oberhalb Grenoble das herrliche Thal Graiſivaudan (ſ. d.) und mündet im Departement Dröme oberhalb Valence. Die J., welche von keinem Alpenſee gereinigt wird, führt viel Schutt mit ſich, hat ſchmutziges Waſſer und iſt 290 km lang, wovon 164 km fdiffbar, doch nicht ohne Ge⸗ fahr. Ihre Zuflüſſe ſind reißende Alpengewäſſer, wie der Arc, Breda, Drac (mit der Romanche).
Das danach benannte franz. Departement J., aus einem Teil der Dauphins gebildet, grenzt nörd⸗ lich an das Departement Ain, durch den Rhöne da⸗
reich und von dieſem an das Großherzogtum Heſſen, von geſchieden, öſtlich an Savoyen, ſüdöſtlich an das es zum Teil durch Tauſch an Kurheſſen abtrat. das Departement Oberalpen, ſüdweſtlich an Dröme Haupt dieſer Linie ift der 1861 zur katholiſchen Kon: und weſtlich an die Departements Ardeche, Loire
Iſergebirge
und Rhöne und hat einen Flächenraum von 8259 Em (150,5 OM.). Das Land liegt im Flußgebiet des Rhöne und wird von dieſem ſowie den zahlreichen Zuflüſſen, unter denen der Guiers, die Bourbre, die Gere und die Iſere, die hier den Drac mit der Romanche aufnimmt, die bedeutendſten ſind, reichlich bewäſſert. Der nordweſtliche Teil iſt ziemlich eben und hat zum Teil einen trocknen und dürren Boden, der ſüdöſt— liche aber iſt hohes Alpenland und reich an Natur— ſchönheiten. Die nördlichen Vorberge ſind ganz an— gebaut, die höhern mit Wald bewachſen, die höchſten ſüdlichen dagegen mit nackten Felſen und zum Teil mit ewigem Schnee und gewaltigen Gletſchern be— deckt. Als die bedeutendſten Berge ſind zu nennen:
die der Belvourgruppe angehörenden Aiguilled'Olan
(3883 m) und Aiguille du Midi (3989 m) an der Südoſtgrenze; nördlich davon die Grandes Rouſſes (3478 m), nordweſtlich von dieſen die Bergkette von Belledonne (2981 m) und jenſeit des Iſerethals die Berggruppe der Grande Chartreuſe (2087 m). Unter den Hauptthälern des Landes ſind das Graiſivaudan (ſ. d.) oberhalb Grenoble und das von Oiſans (das N Romanchethal) die ſchönſten. Im O. gibt es viele Seen und Weiher ſowie ausgedehnte Sümpfe. Das Klima iſt geſund, aber ſehr veränderlich; beſon— ders in den Thälern folgt oft auf die größte Hitze die empfindlichſte Kälte, und der Winter iſt ſehr ſtreng. Im Gebirge gibt es nur Sommer und Winter, aber jener dauert kaum drei Monate. Die Bevölkerung
beläuft ſich auf (1886) 581,680 Seelen. Vom geſamten Areal kommen 3630 qkm auf Ackerland, 580 auf
Wieſen, 360 auf Weinland, 1110 auf Heideland und 1630 qkm auf Wald. In dem hohen Thal von St. Laurent du Pont oder La Grande Chartreuſe gedeiht nur um St.⸗Laurent du Pont Getreide und Hanf; in dem von Oiſans, dem weidereichſten und höchſten des Departements, wachſen nur Hafer, Gerſte, Kar— toffeln; die von Voiron und Vizille ſind ergiebig an Hanf; das Graiſivaudan, das fruchtbarſte von allen, liefert Getreide, Wein, Früchte, Hanf ꝛc. In den übrigen teils ſandigen, teils dürren oder ſumpfigen Gegenden erfordert der Ackerbau große Mühe; den— noch iſt der Ertrag des Departements an Boden— produkten ziemlich reichlich (die Weizenernte beträgt durchſchnittlich 1½ Mill. hl, die Weinernte 700,000 hl). Die Gebirge ſind reich an vorzüglichen Arzneipflan— zen. Von den Produkten des Pflanzenreichs nennen wir noch: Walnuß⸗, Kaſtanien-, Maulbeer- und Wan: delbäume, Tabak, Raps. Das Tierreich liefert kleine